Kolumne "Euroschau" Zinswende kommt schneller als erwartet

Stand: 07.12.2016 14:57 Uhr

Die EZB wird ihre ultralockere Geldpolitik beenden - und zwar schneller als erwartet. Das deutete ein Direktoriumsmitglied an. Einer der Gründe für die überraschende Entscheidung: der designierte US-Präsident Trump.

Er steht nur selten im Rampenlicht, mit großen Äußerungen hält er sich zurück. Doch wenn Yves Mersch ans Rednerpult tritt, lohnt es sich, genau hinzuhören. Das Mitglied des EZB-Direktoriums, also dem engsten Führungskreis um Präsident Mario Draghi, ist sozusagen das intellektuelle Rückgrat der Institution. Kaum jemand im obersten Führungszirkel analysiert und artikuliert so klar und verständlich die Geldpolitik wie der 67-jährige Luxemburger. Er kennt die Zentralbank seit ihrer Gründung bis ins Detail - zunächst als Präsident der luxemburgischen Notenbank und damit Mitglied des EZB-Rates. Seit 2012 eben als einer der sechs Direktoren der EZB.

Lautes Nachdenken über die Wende

Vor wenigen Tagen überraschte Mersch mit Worten, die sein Chef sicher gar nicht gerne hörte: Die EZB steuere langsam auf eine Abkehr der ultralockeren Geldpolitik zu, sagte er auf einer Veranstaltung in Frankfurt am Main. "Wir sind wahrscheinlich nicht mehr weit von dem Zeitpunkt entfernt, an dem wir eine solche Aussage machen können." Schon auf der kommenden Sitzung diese Woche werde besprochen, ob ein langsames Zurückfahren der Anleihekäufe angebracht und sinnvoll sei, so Mersch.

Was für ein Paukenschlag! Die EZB steht vor einem Paradigmenwechsel. Er kommt zwar nicht diese Woche, nicht nächsten Monat und auch nicht im kommenden Frühjahr. Aber er kommt deutlich früher als viele das vor ein paar Monaten auch nur ansatzweise gedacht hätten. Die lockere Geldpolitik der EZB wird nicht unendlich weitergeführt. Die Finanzmärkte müssen sich darauf einstellen, dass irgendwann - und vermutlich schneller als erwartet - die Zinsen wieder steigen.

Yves Mersch

Die EZB steuere langsam auf eine Abkehr der ultralockeren Geldpolitik zu, sagt Mersch.

Gründe gibt es viele. So kann die EZB zwar keinen durchschlagenden Erfolg ihrer Geldpolitik vermelden. Aber ein völliger Fehlschlag ist sie auch nicht. Tatsächlich werden wieder deutlich mehr Kredite vergeben, als vor ein paar Monaten. Tatsächlich hat sich die Wirtschaftslage in einigen Euro-Ländern stabilisiert oder verbessert. Tatsächlich zieht die Inflationsrate wieder an. Sie beträgt zurzeit 0,6 Prozent im Euroraum, der höchste Stand seit zweieinhalb Jahren. Steigt sie weiter so, kann sie 1,6 Prozent erreichen, wie von der EZB für 2018 prognostiziert. Dieser Wert ist nicht mehr weit entfernt vom angestrebten Ziel einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent.

Trump mischt die Anleger auf

Auch kann die EZB nicht unbegrenzt Anleihen kaufen. Irgendwann gibt es einfach nicht mehr genug, die den Kriterien entsprechen. Doch entscheidend ist ein ganz anderer Faktor: Donald Trump. Der designierte US-Präsident mischt die Anleger auf. Die lehnten ihn zunächst ab. Doch mit dem Versprechen, die Märkte wieder zu deregulieren kaufte Trump die Wall Street und brachte sie hinter sich. Jetzt jubelt die Meute über ein riesiges Konjunkturprogramm, das durch exzessive Schulden finanziert werden soll. Das treibt die Zinsen nach oben. Dies umso mehr, da die US-Notenbank kommende Woche mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Leitzinsen weiter anhebt. Besonders deutlich spüren das schon jetzt Immobilienkäufer. Die Zeiten der quasi-Nullzinsen sind längst vorbei, die Kosten fürs Bauen steigen wieder. Diesen Entwicklungen kann sich auch die EZB langfristig nicht entziehen.

Allerdings macht Yves Mersch auch etwas anderes deutlich: Zu rasch und zu abrupt kann die Europäische Zentralbank aus ihrer Geldpolitik nicht aussteigen. So ist es auch kein Widerspruch, dass Präsident Draghi diese Woche mit hoher Wahrscheinlichkeit ankündigt, sein umstrittenes Anleihekaufprogramm noch einmal zu verlängern. Eigentlich sollte es im März kommenden Jahres auslaufen. Nun gilt eine Verlängerung um sechs Monate an den Finanzmärkten als sicher. Ein weiteres halbes Jahr dürften somit monatlich 80 Milliarden Euro in die Märkte gepumpt werden, um die Wirtschaft zu stärken und die Inflation anzutreiben.

Widerspruch von Bundesbank-Chef Weidmann

Damit das funktioniert, muss die EZB aber an einigen Stellschrauben drehen. So darf sie keine Anleihen kaufen, deren Verzinsung unter dem Einlagenzins liegen. Der beträgt zurzeit minus 0,4 Prozent. Viele Bundesanleihen notieren mittlerweile weit unter dieser Marke. Um genug deutsche Anleihen zu bekommen, könnte die Notenbank beschließen, künftig auch Papiere zu kaufen, die diesen Regeln nicht gerecht werden. Dagegen sträuben sich vor allem Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger.

Dennoch werden sie dieser Änderung vermutlich zähneknirschend zustimmen, um einer anderen Variante den Riegel vorzuschieben. So liebäugelt Draghi auch damit, den festgelegten Kapitalschlüssel zu ändern, nach dem die EZB Anleihen aus den einzelnen Euro-Staaten kauft. Vor allem Italien und Spanien haben Interesse, möglichst viele ihrer Anleihen los zu werden. Weicht die EZB von ihrem Kapitalschlüssel ab und kauft proportional mehr italienische und spanische Anleihen, würden also die Schuldenmacher belohnt. Diese Kröte wollen Weidmann und Lautenschläger auf keinen Fall schlucken.

Und was dann?

Wie auch immer die Ausgestaltung einer Verlängerung der Anleihenkäufe aussieht. Die spannende Frage ist und bleibt: Was kommt danach? Mario Draghi muss diese Frage beantworten. Schließlich hat er nach der letzten EZB-Ratssitzung versprochen, diese Woche die Leitlinien der Geldpolitik im kommenden Jahr zu skizzieren. Die Finanzmärkte warten auf eine Blaupause. Die wird wohl andeuten, dass die ultralockere Geldpolitik Ende kommenden Jahres langsam ausläuft. Damit zeichnet sich auch eine Zinswende am fernen Horizont ab.

An den Finanzmärkten hört man diese Entwicklungen nicht gerne. Schließlich ist das billige Geld wie Heroin. Welcher Junkie verzichtet schon gerne darauf? Aber die Anleger stellen sich langsam darauf ein, an den Börsen werden die Weichen neu gestellt. Für diesen Prozess wurde auch schon ein neues Wort kreiert: "The Big Rethink" - das große Umdenken habe eingesetzt, sagen Händler auf dem Parkett.

Für Yves Mersch, der auch viele Jahre für die Börsenaufsicht seines Landes zuständig war, ist das nur eine logische Konsequenz. Denn Börsianer schauen immer weit in die Zukunft. Doch statt Anglizismen bemüht der Luxemburger lieber eine Weisheit des römischen Philosophen Marcus Tullius Cicero: Mit der begann er kürzlich auch seine Rede in Frankfurt am Main: "Die Kenntnis der Ursachen bewirkt die Erkenntnis der Ergebnisse." Wohl wahr.

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