Euroschau zur EZB Draghis Drahtseilakt in Riga

Stand: 13.06.2018 11:41 Uhr

Mitten in den Wirren eines Politkrimis in Lettland tagt der EZB-Rat diese Woche in Riga. Das Treffen könnte den Anfang vom Ende der lockeren Geldpolitik im Euroraum einläuten.

Von Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Viele Zentralbankchefs haben ein mulmiges Gefühl, wenn sie diese Woche in der lettischen Hauptstadt Riga einschweben. Dort findet die diesjährige auswärtige Sitzung des EZB-Rates statt - doch ausgerechnet vom Gastgeber, dem lettischen Notenbankchef, ist nichts zu sehen: Ilmars Rimsevics, der dienstälteste Zentralbankchef der Eurozone, darf das pompöse Notenbankgebäude im Herzen der Hansestadt nicht mehr betreten.

Die lettische Antikorruptionsbehörde brachte ihn Mitte Februar für zwei Tage hinter Gitter. Danach wurde er zwar auf freien Fuß gesetzt, doch von seinem Amt wurde er suspendiert. Auch darf er Lettland nicht verlassen. So etwas gab es in der 20-jährigen Geschichte der EZB noch nie.

Lettlands Notenbankchef: Täter oder Opfer?

Rimsevics ist Teil eines Politkrimis in der kleinen baltischen Republik, der es in sich hat. Dabei geht es um Korruption, Geldwäsche und vielleicht auch den langen Arm Moskaus. Denn dem 53-Jährigen wird vorgeworfen, Schmiergelder in Höhe von 100.000 Euro kassiert zu haben. Ein Miteigentümer russischer Herkunft der lettischen Norvik Banka hatte ausgesagt, Rimsevics würde ständig die Hand aufhalten und drohen, die Aufsicht zu verschärfen, wenn die Bank nicht spure und den Backschisch rausrücke.

Der von seinem Arbeitsplatz Verbannte bestreitet alle Vorwürfe vehement und spricht von einem Komplott lettischer Banken gegen ihn. Auch berichtet er von Morddrohungen. Vieles deutet daraufhin, dass Rimsevics Recht hat und tatsächlich Opfer der mächtigen lettischen Geldinstitute wurde. Die verdienen ihr Geld vor allem mit Lug, Betrug und Geldwäsche - ein Zustand, dem Rimsevics seit Jahren den Garaus machen will.

Ende der Bank ABLV war der Beginn der Vorwürfe

Großer Verbündeter des lettischen Notenbankchefs sind die US-Behörden: Sie warfen insbesondere der drittgrößten lettischen Bank ABLV Geldwäsche in großem Stil vor. Noch schlimmer: Das Institut soll auch Transaktionen durchgeführt haben, die mit dem Kauf und Export von nuklearen ballistischen Raketen durch Nordkorea in Verbindung stehen. Obwohl die ABLV die Vorwürfe bestritt, schnitten die USA das Geldhaus Anfang des Jahres vom US-Finanzsystem ab. In der Folge zogen Anleger massenhaft ihr Geld ab und die ABLV geriet ins Strudeln. Lettlands Notenbankchef Rimsevics weigerte sich, die geforderte Milliarde Liquiditätshilfe zu zahlen. Daraufhin zog die EZB die Reißleine und ordnete die Abwicklung der Bank an. Das war das Ende der ABLV.

Just in diesem Moment wurden die Vorwürfe durch die lettischen Banken gegen Rimsevics laut, die schließlich zu seiner Suspendierung führten. Vorwürfe, die möglicherweise durch eine gezielte Desinformationskampagne durch Russland noch verschärft wurden - das meint jedenfalls das Verteidigungsministerium des baltischen Staates, dessen Beziehungen zu Russland seit der Unabhängigkeit 1991 mehr als angespannt sind. Rimsevics Bestreben, vor allem russische Geldwäsche in Lettlands Banken zu unterbinden, ist Moskau schon seit langem ein Dorn im Auge.

Europäischer Gerichtshof soll Vorwürfe untersuchen

Angesichts dieser Dramatik wird Lettland, das erst 2014 dem Euro beigetreten ist, nun schon seit Monaten im EZB-Rat von seiner Vize-Präsidentin Zoja Razmusa vertreten. Die macht zwar gute Miene zum bösen Spiel, hat aber nichts zu sagen. Stellvertreter dürfen im EZB-Rat nämlich nicht mitstimmen. Das beeinträchtigt auch die Arbeitsweise des gesamten Gremiums. Genau deshalb forderte die EZB den Europäischen Gerichtshof auf, die Vorwürfe gegen Rimsevics zu untersuchen und schnellstmöglich ein Ergebnis vorzulegen. Doch in Luxemburg mahlen die Mühlen langsam.

EZB könnte Anleihekaufprogramm beenden

Die chaotischen Umstände des EZB-Treffens könnten zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen. Denn voraussichtlich wird die Sitzung in Riga als eine der großen Weichenstellungen in die Geschichte der EZB eingehen. Beobachter erwarten, dass der Zentralbankrat dem jahrelangen und hoch umstrittenen Anleihekaufprogramm ein Ende bereitet. Derzeit umfasst es monatlich noch Käufe in Höhe von 30 Milliarden Euro und soll im September auslaufen.

Bislang hat sich die EZB aber noch alle Hintertürchen offen gehalten und auch eine Verlängerung nicht ausgeschlossen - dabei stehen bis zum Herbst Anleihen von Staaten, Kommunen, Institutionen und Unternehmen in Höhe von rund 2,55 Billionen Euro in den Büchern - oder konkreter ausgedrückt: 2.550.000.000.000 Euro.

Draghi müsste geschickt argumentieren

Sollte der EZB-Rat in Riga tatsächlich das Ende der Käufe verkünden, wäre das die seit Jahren geforderte geldpolitische Wende im Euroraum. Es wäre der Anfang vom Ende einer fast zehnjährigen lockeren Geldpolitik, die mittlerweile selbst von Anlegern am Aktienmarkt gefordert wird, weil vor allem Banken immer stärker unter dieser Geldpolitik leiden. Denn erst wenn die Anleihekäufe aufhören, kann die EZB auch wieder an der Zinsschraube nach oben drehen. Diese Medizin hat sie sich selbst verordnet. Verbraucher könnten also aufatmen und wieder auf zumindest kleine Zinsen auf ihr Erspartes hoffen. Nicht sofort, aber voraussichtlich im Laufe des kommenden Jahres. Große Sprünge dürften die Zinssätze aber auch dann nicht machen.

Wie EZB-Präsident Mario Draghi diese Entscheidung rechtfertigen und präsentieren will, daran arbeiten schon jetzt ganze Stäbe in der EZB. Denn der Präsident muss das akrobatische Kunststück vollbringen, die Kriterien, mit denen er die lockere Geldpolitik gerechtfertigt hat, der Öffentlichkeit plötzlich als unwichtig zu präsentieren.

Jahrelang argumentierte Draghi, dass vier Bedingungen erfüllt sein müssten, damit die EZB von der lockeren Geldpolitik ablasse: Erstens müsse die Inflationsrate über einen längeren Zeitraum bei nahe zwei Prozent liegen. Zweitens müsse dieser Trend dauerhaft sein, nicht nur vorübergehend. Drittens müsse die Inflationsrate dieses Niveau halten, auch wenn die EZB ihre außerordentlichen Stützungsmaßnahmen beende. Viertens müsse das Inflationsziel für die gesamte Eurozone, nicht nur für einzelne Staaten erreicht sein.

Keines der Ziele wirklich erreicht

Faktisch ist keines der vier Ziele erreicht. Die Inflation liegt im Euroraum zwar bei 1,9 Prozent. Rechnet man aber die Energiepreise heraus, beträgt die sogenannte Kerninflation nur 1,1 Prozent und ist damit weit vom Zwei-Prozent-Ziel entfernt. Genau diese Rechnung wurde in der Vergangenheit immer wieder präsentiert, um die Anleihekäufe zu rechtfertigen.

Ob die Preissteigerung anzieht, auch wenn die Stütze durch diese Anleihekäufe durch die EZB für die Wirtschaft wegfällt, weiß kein Mensch - zumal die jüngsten Konjunkturdaten aus der Eurozone schlecht sind. Allein im April brachen die Auftragseingänge der deutschen Industrie aus dem Euroraum um zehn Prozent ein. Solche Zahlen gab es nur zu Hochzeiten der Eurokrise. Auch die Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten sind weiterhin beachtlich.

Für Mario Draghi wird die Argumentation in Riga also ein Drahtseilakt, der viel Vertrauen zerstören kann. Natürlich wäre es richtig und wichtig, endlich wieder eine normale Geldpolitik zu fahren. Doch ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt mit derart wackeligen Konjunkturdaten ist der Turnaround wenig plausibel.

EZB ist gezwungen, bald zu handeln

Tatsächlich würden Draghi und die südeuropäischen Länder am liebsten auch gar nichts ändern und die Druckerpresse weiter laufen lassen. Doch mittlerweile erreichen die Käufe von Staatsanleihen ein so hohes Volumen, dass die Grenze des Erlaubten bald erreicht ist. Den Währungshütern bleibt also gar nichts anders übrig, als jetzt damit aufzuhören - auch wenn der Zeitpunkt völlig unsinnig ist.

So wird der EZB-Rat in den Wirren von Geldwäsche, Korruption und Morddrohungen in Riga also nicht nur auf den Gastgeber verzichten müssen, sondern bald auch auf das bei vielen seiner Mitglieder so beliebte Anleihekaufprogramm. Dies zu verpacken und irgendwie zu rechtfertigen, dürfte die eigentliche Herausforderung der Sitzung werden. Es wird also spannend beim baltischen Löwen: In Lettland wünscht man deshalb: Veiksmi - viel Glück!

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