Euroschau zur EZB Der Traum vom "geordneten Haus"

Stand: 25.04.2018 15:45 Uhr

Die EZB steht vor dem personellen Wechsel - als Erster räumt Vize-Präsident Constâncio seinen Posten. Doch beim Kurswechsel von Krisen-Feuerwehr zurück zum Stabilitätsgarant stockt es.

Von Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Er ist der Mann im Schatten von EZB-Präsident Mario Draghi. Während der Pressekonferenzen sitzt er immer zu seiner Rechten. Zu seinem Amt gehört mehr Geduld als Eitelkeit, denn er darf nur etwas sagen, wenn Draghi ihm das Wort erteilt. Dafür weiß man genau, was er denkt.

Kaum jemand drückt mit seinem Gesichtsausdruck so klar aus, was in seinem Kopf vorgeht: Vítor Constâncio ist der stellvertretende Präsident der Europäischen Zentralbank. Oft unterschätzt, ist der 74-jährige Portugiese einer der erfahrensten und intelligentesten Notenbanker der EZB. Nur wenige waren wie er quasi von Anfang an mit dabei. Und kaum jemand kann Geldpolitik so wunderbar klar, plastisch und verständlich erklären wie der studierte Ökonom und langjährige Professor an verschiedenen Hochschulen in Lissabon.

Vítor Constâncio (links) sitz auf einer Pressekonferenz neben EZB-Chef Mario Draghi.

Der schweigsame Mann an der Seite des EZB-Chefs: Vítor Constâncio (links) neben Mario Draghi.

Abschied nach acht Jahren als Vize

Constâncio, viele Jahre einflussreicher Politiker der portugiesischen Sozialdemokraten, Finanzminister und langjähriger Zentralbankchef in seiner Heimat ist ein Urgestein der EZB. Im Zentralbankrat gilt er als geldpolitische Taube, ist aber bereit, seinem Land auch die Leviten zu lesen, wenn es nötig ist. Bekannt und geschätzt ist der zweifache Familienvater für seine Fähigkeit zu Kompromissen.

Diese Woche ist seine letzte Pressekonferenz, bei der er rechts im Schatten von Draghi sitzt. Denn Ende Mai endet seine achtjährige Amtszeit als bisher dritter Vizepräsident der EZB - dann übernimmt der frühere spanische Finanzminister Luis de Guindos seinen Posten.

Constâncio macht den Auftakt für einen Generationenwechsel in der EZB: Kommenden Sommer endet die Amtszeit von Chefvolkswirt Peter Praet. Der Belgier gilt als einer der Architekten der außerordentlichen Maßnahmen der Zentralbank als Folge der Eurokrise. Im Herbst 2019 verlässt dann auch der EZB-Präsident selbst den Euro-Tower: Ende Oktober endet die Amtszeit von Draghi.

Das hehre Ziel eines "geordneten Hauses"

Großes Ziel der drei war und ist es, ihren Nachfolgern mit dem Stabwechsel auch ein "geordnetes Haus" zu hinterlassen: Eine Notenbank, in der nicht Krise und Notmaßnahmen den Takt angeben, sondern eine Notenbank, in die wieder Normalität eingekehrt ist. Ob das allen dreien vergönnt sein wird, ist allerdings mehr als fraglich. Denn von Normalität in der Geldpolitik ist die EZB immer noch weit entfernt - und ob diese Normalität jemals kommt, ist unklarer denn je.

Am Ende steht möglicherweise die Einsicht, dass man sich verrannt hat: Verrannt in das vorgegebene Ziel, eine Inflationsrate von unter, aber nahe an zwei Prozent zu erreichen. Immer wieder betonen die drei, dass die EZB mit ihren Maßnahmen noch nicht da ist, wo man hin will.

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Tatsächlich beträgt die Inflationsrate im Euroraum derzeit nur 1,4 Prozent. Aber das Ziel ist in Zeiten von Globalisierung und wirtschaftlicher Transparenz realistisch kaum noch erreichbar. Und: Wenn die Zwei-Prozent-Marke bislang nicht erreicht wurde, obwohl die Wirtschaft rund um den Globus brummt und Europas Konjunktur wieder deutlich angezogen hat - wann denn dann?

Viel besser dürfte das Wirtschaftswachstum kaum noch ausfallen. Zwar sind die Konjunkturprognosen der führenden Forschungsinstitute und Institutionen für die nächsten Monate weiterhin positiv. Doch alle Experten machen auch deutlich: Das Ende der Fahnenstange ist langsam erreicht, die Luft nach oben wird dünner. Und die jüngsten Konjunkturdaten sind alles andere als berauschend.

Der weiterhin nicht gelöste Handelskonflikt mit den USA, deutlich anziehende Ölpreise, politische Unsicherheiten rund um den Iran, ein unberechenbarer US-Präsident, ein nicht gelöster Konflikt um Nordkorea und eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, die nur mit Klebeband zusammengehalten wird - all das sind nicht gerade Umstände, die das Wirtschaftsumfeld auf Dauer weiter verbessern.

Die EZB muss daher jetzt handeln, wenn sie ihre Erfolge, die sie mit umstrittenen Mitteln erreicht hat, sichern will. Sie muss endlich das Anleihekaufprogramm stoppen, die Strafzinsen für Banken beenden und eine Perspektive bieten, wann die Leitzinsen wieder steigen. Denn wenn sie zu lange wartet und die Konjunktur wieder abflaut, wird sie noch mehr Probleme haben, die geldpolitische Wende zur Normalität einzuleiten: Wer will schon in einen wirtschaftlichen Abschwung hinein die Zinsen erhöhen?

Rolle als Feuerwehr erfüllt

Die EZB hat das erreicht, was ihr unter den widrigen Umständen möglich war. Sie hat ihr Mandat gedehnt und überschritten, auch weil die Politik sie in die Rolle der Feuerwehr gedrängt hat. Doch jetzt muss Schluss sein. Die EZB muss zurück zur Normalität, solange es noch geht. Wenn sie zu lange wartet, wird sich die Tür wieder schließen und dann bleiben der EZB kaum noch Mittel, um zu reagieren.

Im Herzen weiß das auch Vítor Constâncio. Doch als Mann im Schatten des Präsidenten und Anhänger der lockeren Geldpolitik kann er das nicht sagen. So verlässt der erfahrene Notenbanker die EZB zu einem Zeitpunkt, an dem das Werk nicht vollendet ist. Zum Trost kann der Mann, der eigentlich mal Lokführer werden wollte, sich künftig seiner heimlichen Leidenschaft widmen - der Schauspielerei.

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