Kolumne Euroschau Lettische Rosskur macht sich bezahlt

Stand: 08.01.2014 14:58 Uhr

Lettlands Weg zum Euro war schmerzhaft: Der Staatsetat wurde gekürzt, die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe. Wirtschaftlich hat sich die Rosskur inzwischen bezahlt gemacht. Die EZB ist um den Euro-Neuling dennoch besorgt.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Milda hat schon einiges erlebt. Die junge Frau mit Zopf und Diadem auf dem Kopf zeigte Anfang der 1930er-Jahre Moskau die Harke und schickte das Standbild Peters des Großen in die Wüste. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Russen sie dafür in die Luft jagen und durch Lenin ersetzen. Doch an Milda biss sich selbst der Kreml die Zähne aus. Lenins Büste wurde abseits platziert. Dort schaute er grimmig gen Moskau, bis er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder umgehauen wurde. Milda blieb, den Westen fest im Blick.

Milda ist Symbol für die nationale Unabhängigkeit Lettlands. Ihr Konterfei schmückt den 19 Meter hohen Obelisken im Zentrum der Hauptstadt Riga. In der kurzen Zeit der Unabhängigkeit prägte sie das Gesicht der heimischen Währung Lats. Jetzt befindet sich Lettlands Wahrzeichen auch auf Ein- und Zwei-Euro Münzen. Denn seit Beginn des Jahres ist die baltische Republik 18. Mitgliedsland des Euroraums.

Wirtschaft erwartet große Vorteile

Der ehemalige Ministerpräsident Valdis Dombrovskis hatte die Einführung vorangetrieben. Er und die lettische Wirtschaft erhoffen sich große Vorteile für das kleine Land. 70 Prozent des Handels werden mit dem Euroraum abgewickelt. Im Nachbarland Estland führte die Euro-Einführung 2011 zu deutlich steigenden Investitionen.

Die Bevölkerung ist allerdings skeptisch. Mehr als die Hälfte der Letten lehnt den Euro ab. Für sie war der Lats mit Milda Ausdruck politischer Unabhängigkeit und Zeichen der Abgrenzung von Moskau. Die Jahre russischer, deutscher und sowjetischer Besatzung hat man in übler Erinnerung. Aber nicht nur historische Gründe spielen eine Rolle: Viele Letten haben Angst vor steigenden Preisen. Mit einem Durchschnittslohn von 900 Euro im Monat ist das Land das ärmste im Euroraum. Zwölf Prozent der Erwerbsbevölkerung ist arbeitslos gemeldet.

Von der Finanzkrise schwer getroffen

Der Weg zum Euro war für die Bevölkerung schmerzhaft. Die Finanzkrise hat auch Lettland nicht geschont - hier noch verstärkt durch hohen, auf Pump finanzierten Konsum. Die drohende Staatspleite wurde mit Finanzmitteln der EU und des Internationalen Währungsfonds verhindert. Dombrovskis schlug einen harten Sparkurs ein: Anstatt die Währung abzuwerten, kettete Riga den Wechselkurs an den Euro.  Bezüge von Beamten wurden um 20, die der Pensionäre um zehn Prozent gekürzt.

Insgesamt wurde fast ein Fünftel des Staatshaushaltes gestrichen. Die Arbeitslosenquote vervierfachte sich in kurzer Zeit. 300.000 meist junge und gut qualifizierte Letten kehrten ihrem Land den Rücken, um in Skandinavien, Westeuropa oder Nordamerika zu arbeiten und Geld heimschicken zu können. Die Bevölkerung, Kummer aus schlechten Zeiten gewohnt, nahm es mit stoischer Gelassenheit.

Schuldenstand erfolgreich verringert

Ökonomisch hat sich die Rosskur bezahlt gemacht. Die Wirtschaft wuchs in den vergangenen Jahren um vier bis fünf Prozent. Der Schuldenstand liegt bei nur noch 40 Prozent, das Haushaltsdefizit bei 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Inflation schwankt um den Nullpunkt. Damit wurden alle Kriterien für die Aufnahme in den Euro-Club souverän gemeistert.

Brüssel und Berlin führen den überschuldeten Staaten Südeuropas deshalb gern Riga als Musterschüler vor. Die Letten erwarten mehr Anstrengungen der Südländer. Denn in dem baltischen Land gelten hanseatische Kaufmannstugenden: "Wenn unsere Bevölkerung sieht, dass andere kriselnde Volkswirtschaften Geld aus Brüssel bekommen, ohne ihr Verhalten zu ändern, wird das für Wut sorgen", fasste Finanzminister Andris Vilks die Stimmung kürzlich zusammen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht die Situation etwas nüchterner und skeptischer als Brüssel. Nach Schlampereien bei der Aufnahmeprüfung Griechenlands sensibilisiert, fanden die Währungshüter im Fall Lettland ungewöhnlich deutliche Worte: Die starken Inflationsschwankungen in den vergangenen Jahren seien bedenklich. Die hohe Abhängigkeit der lettischen Kreditinstitute von ausländischen Einlagen stelle ein Risiko dar.

Kein zweites Zypern

Tatsächlich legen vor allem russische Oligarchen ihr Geld gern in Lettland an. Auch wenn das Land kein zweites Zypern ist, gab es Probleme: Ende 2008 stand die Parex Banka vor dem  Zusammenbruch. Nur die Verstaatlichung konnte das damals führende Institut im Baltikum retten. Mittlerweile wurde die Bank zerschlagen und teilweise dicht gemacht. In Riga hofft man daher, den anstehenden Stresstest der EZB gut zu überstehen.

Im kommenden Jahr will auch Lettlands Nachbar Litauen der Eurozone beitreten. Die baltischen Staaten, vor rund 25 Jahren noch Teil der als feindlich betrachteten Sowjetunion, sind vorerst die letzten Bausteine eines Währungskunstwerkes des freien Westens namens Euro.

Für die lettische Milda bricht damit ein neues Zeitalter an. Im wirklichen Leben hieß sie übrigens Zelma Brauere. Die Schöne mit dem Zopf war Korrektorin bei der staatlichen Münzprägeanstalt in Riga. Dem Künstler der ersten Lats-Münze stand sie einfach nur Modell. So profan kann ein Mythos beginnen.

Die anderen Euro-Aspiranten
Nach den EU-Verträgen sollen möglichst alle Staaten der Europäischen Währungsunion beitreten. Mit der Aufnahme des Baltikums ist aber vorerst Schluss mit der Ausweitung. Kroaten und Rumänen möchten zwar auch beitreten, erfüllen aber die Kriterien nicht. Ungarn und Bulgarien schieben den Euro auf die lange Bank.
In Polen ist das Projekt derzeit nicht realisierbar. Die zunächst eurofreundliche Regierung unter Premier Donald Tusk machte kürzlich einen radikalen Schwenk und legte den Euro auf Eis: über zwei Drittel der Polen sind gegen die Gemeinschaftswährung. Ähnlich auch die Situation in der Tschechischen Republik.
Die Schweden sprachen sich bereits 2003 in einem Referendum gegen den Beitritt aus, 90 Prozent der Bevölkerung wollen die Krone behalten. In Großbritannien und Dänemark ist der Euro ohnehin kein Thema. Hier hat man von vornherein abgewinkt und durch eine Sonderklausel den Eintritt in die Eurozone ausgeschlossen.

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