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Euroschau

Euroschau Drohende Deflation setzt EZB unter Druck

Stand: 09.09.2020 14:28 Uhr

Der starke Rückgang der Teuerungsrate im Euroraum zeigt die nahe Gefahr einer Deflation mit sinkenden Preisen. Dadurch gerät die EZB unter Zugzwang, mit ihren Mitteln erneut gegenzusteuern.

Der Blick auf den Snake River, der sich ruhig und gemächlich vor den Gipfeln des Teton Range durch das Tal schlängelt, hätte gut getan. Die Wanderung durch den Nationalpark, in dem jedes Jahr Tausende von Wapiti-Hirschen zum Überwintern zusammenkommen, hätte den Kopf frei gemacht. Und die frische Luft in den grünen Wäldern rund um den Jackson Lake auch - in Corona Zeiten umso mehr. Doch das alljährliche Treffen der internationalen Notenbank-Welt im amerikanischen Jackson Hole am Fuße der Rocky Mountains gab es dieses Jahr nur virtuell. Das in den USA massiv grassierende Virus machte die Reise nach Wyoming unmöglich.

US-Notenbank ändert bisheriges Inflationsziel

An Brisanz hat das Treffen der obersten Währungshüter nichts eingebüßt. Ganz im Gegenteil. Denn in einer viel beachteten Rede zur neuen Strategie warf US-Notenbankchef Jerome Powell das bisherige Inflationsziel weitgehend über Bord. Bislang wurde von der US-Notenbank eine Preissteigerung von zwei Prozent angesteuert, die als wirtschaftlich sinnvoll angesehen wird. Jetzt wird nur noch ein Durchschnittswert von zwei Prozent angepeilt. Anfang und Endpunkt des Zeitraums für diesen Durchschnitt bleiben aber undefiniert.

US-Notenbankchef Jerome Powell

US-Notenbankchef Powell weichte das bisherige Inflationsziel der Fed deutlich auf.

Faktisch ist das Ziel damit zwar nicht außer Kraft gesetzt, aber doch völlig aufgeweicht. Denn je nachdem wie man den Zeitraum wählt, kann man nun den tatsächlich erreichten Wert nach oben oder unten manipulieren - gerade so, wie es opportun erscheint.

Inflationsziel der EZB auf dem Prüfstand

Dieses Signal der Federal Reserve setzt auch die anderen Notenbanken rund um den Globus unter Druck, ihre Inflationsstrategie zu überdenken. Das gilt insbesondere für die Europäische Zentralbank. Bei ihr hat das Inflationsziel von knapp zwei Prozent einen deutlich höheren Stellenwert als bei den meisten anderen Institutionen ihrer Art. Alle Maßnahmen in der über 20-jährigen Geschichte der EZB wurden immer mit dem Erreichen dieses Ziels begründet.

In der laufenden Überprüfung des gesamten EZB-Apparates und seiner Politik, die Christine Lagarde kurz nach ihrem Amtsantritt vor knapp einem Jahr angestoßen hat, steht das Inflationsziel aber ohnehin auf dem Prüfstand.

Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt

Für die EZB hat das Inflationsziel von knapp zwei Prozent bislang große Bedeutung.

Nun dürften die Kritiker Oberwasser bekommen. Sie meinen schon seit längerem, das Zwei-Prozent-Ziel sei in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und scharfem Wettbewerb nicht mehr erreichbar. Wenn die wichtigste Notenbank der Welt, die Federal Reserve, dieses Ziel nicht mehr wirklich ansteuert - vielleicht braucht man es in Europa dann auch nicht mehr, so die Überlegung. Das birgt aber Gefahren: Ohne klares Ziel vor Augen ist der lockeren Geldpolitik Tür und Tor noch weiter geöffnet. Eine Normalisierung des Zinsniveaus wäre dann völlig illusorisch: Es gäbe auf Jahre hinaus keine Zinsen mehr.

Verzerrte Anleihemärkte

Extrem locker ist die Geldpolitik ohnehin schon. So locker, dass die Anleihemärkte mittlerweile völlig verzerrt sind. Das Geld aus dem Kauf der Anleihen durch die EZB fließt immer stärker in den Aktienmarkt. Der hat seine Bodenhaftung verloren und ist im Lichte der dramatischen Wirtschaftslage völlig überbewertet.

Dennoch wird Lagarde diese Woche nichts anderes übrig bleiben, als eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht zu stellen. Denn die jüngsten Inflationsdaten sind verheerend. Sie beginnen langsam zu zeigen, wie dramatisch die europäische Wirtschaft durch das Coronavirus getroffen worden ist - auch wenn man hierzulande nicht allzu viel davon spürt.

EZB-Chefin Christine Lagarde

EZB-Chefin Lagarde wird möglicherweise eine weitere Lockerung der Geldpolitik in Aussicht stellen.

Im September ist die Preissteigerung nach einer ersten Schnellschätzung der europäischen Statistik-Behörde Eurostat wieder ins Minus gerutscht. Nach 0,4 Prozent im August liegt die Inflationsrate jetzt bei -0,2 Prozent. Noch schlimmer: Die für die Notenbanker wichtige Kerninflation, aus der Energie und Lebensmittelpreise herausgerechnet werden, ist geradezu kollabiert: Sie sackte von 1,2 Prozent auf 0,4 Prozent ab.

Sinkende Preise wären Gift für Unternehmen

Aus Sicht der meisten Währungshüter und Volkswirte ist das ein düsteres Signal: Die Eurozone könnte erneut auf deflationäre Tendenzen zusteuern, also tendenziell sinkende Preise. Diese Entwicklung stellt für Währungshüter sozusagen Pest und Cholera gleichzeitig dar. Zwar freuen sich Verbraucher und Verbraucherinnen über sinkende Preise. Doch für Unternehmen ist das Gift. Deshalb leuchten in der EZB die Warnsignale auf. Besonders kräftig ist der normale Preisrückgang auf Zypern (-2,9 %), in Griechenland (-2,1%) und in der Slowakei (-1,5%), so die Schätzung von Eurostat. In Deutschland liegt die Rate bei -0,1 Prozent.

Eine Überraschung ist das nicht: In vielen Ländern liegt die Wirtschaft wegen der Corona-Pandemie am Boden. Das gilt insbesondere für Südeuropa, wo vor allem der Tourismus in zahlreichen Regionen zusammengebrochen ist. In Spanien etwa, wo der Sektor in normalen Zeiten rund ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet, ist die ohnehin verkorkste Saison nach deutscher und britischer Reisewarnung endgültig gelaufen. Die Arbeitslosigkeit schießt dramatisch in die Höhe. Entsprechend weniger wird gekauft. Das drückt auf die Preise.

Wahrscheinlich keine zusätzlichen Anleihekäufe

Eine Entscheidung über eine Aufstockung des Anleihekaufprogramms durch die EZB als Gegenmaßnahme erwarten Ökonomen auf der Ratssitzung diese Woche allerdings nicht. Erst vor wenigen Tagen hatte Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in einem viel beachteten Interview deutlich gemacht, die gegenwärtige Politik der EZB sei der Situation angemessen. Das schließt eine Erhöhung zum jetzigen Zeitpunkt aus.

Außerdem warten die Ratsmitglieder auf die neue EZB-Konjunkturprognose, die diese Woche veröffentlicht wird. Aber auch sonst sollte die Notenbank ihr Pulver lieber trocken halten. Denn während sich in Deutschland und Frankreich die Konjunktur wieder erholt, verschärft sich die Situation in vielen Ländern Südeuropas. Damit werden die wirtschaftlichen Unterschiede in der Eurozone immer größer, und die Spannungen verstärken sich.

Euro gewinnt an Wert

Zu allem Überfluss hat der Euro gegenüber dem US-Dollar auch noch deutlich an Wert gewonnen. Damit werden Waren, die aus der Eurozone ins nicht europäische Ausland exportiert werden, teurer und sind somit weniger wettbewerbsfähig. In einer Zeit, in der die Wirtschaft ohnehin geschwächt ist, ist dies umso schädlicher. Mehrere EZB-Ratsmitglieder haben sich entsprechend besorgt geäußert, insbesondere der einflussreiche EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane.

Zwar liegt der Wechselkurs zum US-Dollar mit knapp 1,20 US-Dollar nur wenig über dem fairen Wert des Euro, der von Volkswirten bei knapp 1,18 taxiert wird. Doch in Relation zu den deutlich niedrigeren Werten in diesem Jahr ist der Anstieg vor allem für die besonders von der Coronavirus-Krise betroffenen Ländern zu spüren. Seit Mitte März beträgt die Aufwertung rund zwölf Prozent.

Dies geschah nicht, weil die Anleger verrückt nach Euros wären, sondern nur deshalb, weil das Versagen der US-Regierung im Kampf gegen Corona die dortige Wirtschaft schwer gebeutelt hat und damit den US-Dollar unter Druck setzt.

Europas Währungshüter haben also viele Baustellen. Der Herbst dürfte ziemlich düster werden.

Im Am 10 Thema 24 September Dieses 2020 über Programm: Um dieses Berichtete Uhr Thema