Kolumne Euroschau Abschied auf Raten von der EZB-Geldflut

Stand: 25.10.2017 11:51 Uhr

Im EZB-Tower geht heute die wichtigste geldpolitische Sitzung seit Jahren über die Bühne: Die Zentralbank wird eine Reduzierung der Anleihekäufe beschließen, ihre Laufzeit aber verlängern. Die Zinswende rückt damit weiter in die Ferne - mit fatalen Folgen.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Matteo Renzi ist ein optimistischer Mann. Im Frühjahr kommenden Jahres will der 42-jährige Florentiner und Ex-Ministerpräsident die Parlamentswahlen in Italien gewinnen und eine pro-europäische und reformfreudige Regierung auf die Beine stellen. Das ist auch nötig, denn Populisten und Separatisten sind auch in Italien auf dem Vormarsch.

Matteo Renzi

Matteo Renzi

Genauso schlimm: Das Land ist das einzige im Euroraum, das nach der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise keine wirklichen Reformen durchgeführt hat, hoch verschuldet ist und ein dramatisches Haushaltsdefizit aufweist. Auch der Bankensektor ist marode wie eh und je. Italien ist somit das Land, in dem der wahre Zeitzünder der Eurozone tickt. Wenn hier die Krise eskaliert, fliegt die Währungsunion auseinander.

Das Wort "Ende" wird nicht in den Mund genommen

Keiner weiß das besser als EZB-Präsident Mario Draghi. Und es ist ein zentraler Grund, warum er und die Tauben im Zentralbankrat in Sachen Geldpolitik weiter heftig auf die Bremse treten. Diese Woche werden sie den Anfang vom Ende der heftig umstrittenen Anleihekäufe verkünden. Aber sie werden alles tun, um das Wort "Ende" zu vermeiden. Auch der dafür häufig verwendete englische Begriff "Tapering" ist absolutes Tabu.

Nein, man nennt das jetzt "Rekalibrierung", der romanische Begriff für "Dinge justieren, passend einstellen". An den Finanzmärkten wird erwartet, dass die EZB das gegenwärtige Kaufvolumen in Höhe von 60 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro halbiert. Dafür wird das Programm, das eigentlich Ende dieses Jahres auslaufen sollte, aber verlängert - voraussichtlich um neun Monate, und wenn nötig auch darüber hinaus.

Der EZB sitzen die Gerichte im Nacken

Der Grund, warum die EZB überhaupt zu Änderungen bereit ist, liegt nicht etwa in der brummenden Konjunktur in weiten Teilen des Euroraumes. Sie agiert vielmehr, weil ihr die Gerichte im Nacken sitzen: Würde die EZB weiterhin Anleihen im gegenwärtigen Umfang von 60 Milliarden Euro monatlich kaufen, würde sie im kommenden Jahr in vielen Euro-Ländern mehr als ein Drittel der dort ausgegeben Staatsanleihen gekauft haben.

EZB-Gebäude

Doch in den Rechtsstreitigkeiten über die Verfassungsmäßigkeit der Staatsanleihen-Käufe mit Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof hat sich die EZB verpflichtet, nicht mehr als ein Drittel der Anleihen zu kaufen. Sonst muss selbst sie zugeben, dass es sich bei dieser Politik um verbotene Staatsfinanzierung durch die Notenbank handelt. Noch sind die Verfahren nicht abgeschlossen, in denen es darum geht, ob auch das jetzige Volumen und Vorgehen bereits diesem Tatbestand entsprechen.

Die EZB muss also handeln. Auch, weil die Finanzmärkte den versprochenen Fahrplan in Sachen Geldpolitik einfordern. Aber damit es so aussieht, als ob sich nichts ändert, üben sich die Währungshüter in Wortakrobatik und verlängern das Programm sogar noch einmal. Akribisch wurde im EZB-Tower alles ausgerechnet. Mit der neuen Variante "weniger, aber länger" wird die Ein-Drittel-Grenze vorerst nicht gerissen.

Zinswende rückt in weite Ferne

Diese Entwicklung hat fatale Folgen: Denn eine Zinswende wird damit nun noch weiter in die Zukunft geschoben. Hatten die Finanzmärkte zunächst mit einer möglichen Anhebung Ende 2018 gerechnet, dauert es nun mindestens bis Ende 2019 oder gar 2020. Denn die EZB hat in ihrer sogenannten "Forward Guidance" - einer Art Leitfaden für die Anleger - immer gesagt: Erst wenn die Anleihekäufe beendet sind, kann an der Zinsschraube gedreht werden.

Auch begründen können die Währungshüter ihre Politik wunderbar, ohne auf die eigentlichen Ursachen eingehen zu müssen. Denn die Inflationsrate im Euroland hoppelt weiter um die 1,5 Prozent herum und dürfte dort auch noch sehr lange verharren. Damit wird das angestrebte Ziel von zwei Prozent nicht erreicht. Der EZB dient das als Rechtfertigung ihrer Politik, obwohl immer klarer wird: Das Zwei-Prozent-Modell ist antiquiert, funktioniert in Zeiten der Globalisierung nicht mehr und bedarf dringend einer Reform.

Keine guten Nachrichten für die Verbraucher

Was heißt das nun alles konkret für die Verbraucherinnen und Verbraucher? Nichts Gutes. Hoffnungen vom Anfang des Jahres, eine Normalisierung der Geldpolitik zeichne sich zumindest langfristig ab, werden durchkreuzt. Die Zinswende wird auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Gleichzeitig wird die Spekulationsblase an den Aktienmärkten durch das viele billige Geld weiter aufgebläht, wie auch die Preisblase am Immobilienmarkt.

Zinsen wird es im Euroland auf lange Zeit nicht mehr geben. Sparer werden durch die Hintertür immer weiter enteignet. Doch das Schlimmste: Die EZB legt das Fundament für neue Krisen. Noch will bei Versicherungen und Pensionskassen niemand so richtig darüber sprechen. Doch vielen von ihnen steht das Wasser bis zum Hals. Weil sie wegen der Zinspolitik nicht genug Erträge erwirtschaften, geraten immer mehr in Schieflage. Viele Versicherer kürzen mittlerweile versprochene Leistungen, etwa bei Lebens- oder Rentenversicherungen. Die EZB entzieht diesen Branchen zunehmend das Fundament und gefährdet damit die Altersvorsorge der Bevölkerung.

Das ist der eigentliche Skandal dieser Geldpolitik. Denn dadurch wird die Bevölkerung ein weiteres Mal für die Ursachen und Folgen der Finanzkrise zur Kasse gebeten, die letztendlich verantwortungslose Spekulanten und nimmersatte Banker ausgelöst haben. In den schlimmsten Fällen wird der Staat wieder einspringen müssen, dann geht die Verschuldungsspirale von vorne los.

EZB muss Schluss machen mit der Politik des billigen Geldes

Die EZB hat in der Krise viel getan, um den Euro zu retten und die Währungsunion zu stabilisieren. Doch jetzt gefährdet sie mit ihrer Politik genau das, was sie schützen will. Es muss endlich Schluss sein mit der Politik des billigen Geldes. Man kann nicht immer mit Nachsicht auf Nachzügler wie Italien warten. Man muss sie verpflichten, auch einen Beitrag zum Gelingen dieser Währungsunion zu leisten. Fast alle kriselnden Euro-Länder haben ihre Hausaufgaben gemacht, häufig mit bitteren Einschnitten. Und fast überall brummt die Wirtschaft. Wann, wenn nicht jetzt soll der Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik kommen?

Der EZB fehlt die eigene Courage. Es wäre wünschenswert, wenn sie endlich den Mut aufbringen würde, die Geldpolitik wieder in normale Bahnen zu lenken. Das muss ja nicht in hastigen Sprüngen vor sich gehen. Aber die jetzige Politik noch einmal auf unbestimmte Zeit zu verlängern, ist der falsche Weg!

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