Pressekommentare zum EU-Haushalt "Cameron hat gewonnen und Europa verloren"

Stand: 09.02.2013 09:48 Uhr

Ob EU-Skeptiker oder EU-Befürworter: Die Kritik an den Haushaltsbeschlüssen des EU-Gipfels ist breit und geht durch alle Lager. Der Tenor in den internationalen Pressekommentaren ist dennoch vielfältig. Den einen geht die geplante Budgetkürzung zu weit, anderen reicht sie bei weitem nicht aus.

Die konservative britische Zeitung The Times bewertet den ausgehandelten Sparhaushalt sehr skeptisch: "Auch wenn im neuen EU-Haushalt weniger Geld verschwendet wird, so wird dennoch Geld sinnlos und sogar kontraproduktiv ausgegeben. Die EU-Politiker haben beschlossen, mehr Geld in die ruinöse Agrarpolitik zu stecken. Diese Politik verzerrt den Markt der Nahrungsmittelindustrie und verringert seine Effizienz. Auch wenn (Premierminister) Cameron mit seiner Nachtarbeit zufrieden ist, so bedeutet dies keineswegs, dass man mit dem ausgehandelten Budget zufrieden sein kann. In jedem Monat fließen Hunderte Millionen Pfund britischer Steuergelder in die Kassen der EU. Das ist immer noch zu viel Geld, das obendrein nicht sinnvoll ausgegeben wird. Das trägt zur wachsenden Euroskepsis in Großbritannien bei, und das zu Recht."

Der linksliberalen römischen Tageszeitung La Repubblica geht die Budgetkürzung dagegen zu weit: "Jetzt sprechen natürlich alle von einem guten Kompromiss. Aber das Fazit der gestern erreichten Einigung ist ziemlich einfach: Cameron hat gewonnen und Europa verloren. Zum ersten Mal kürzt die EU ihren eigenen Haushalt und verzichtet damit auf die notwendigen Mittel für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Forschung und neue Technologien. Diese Schlüsselfaktoren bleiben mehr als je zuvor an die nationale Politik gebunden. Die reichen Länder des Nordens bekommen dadurch noch einen Wettbewerbsvorteil mehr. Aber das Spiel ist mit diesen zwei Marathon-Tagen noch nicht zu Ende. Zum ersten Mal kann das Parlament Dank des Lissabon-Vertrages auch bei der finanziellen Perspektive mitentscheiden. Und das wird sicherlich ein harter Kampf werden."

Auch das Luxemburger Wort verweist auf die Rolle des EU-Parlaments: "Nach stundenlangen Verhandlungen haben es die 27 Regierungschefs in Brüssel doch noch geschafft, sich auf einen mehrjährigen EU-Finanzrahmen zu einigen. Am Ziel angekommen sind sie jedoch noch nicht: Damit der Sieben-Jahre-Etat auch tatsächlich in Kraft tritt, muss das Europaparlament erst noch seine Zustimmung geben, und das könnte sich als äußerst schwierig erweisen. Viele Abgeordneten war nämlich von Anfang an gegen jegliche Kürzung der EU-Ausgaben für die Jahre 2014 bis 2020. Im Gegenteil: Sie wollten sie sogar erhöhen. Das Parlament ist sozusagen das Zünglein an der Waage."

Mit einem etwas kleineren Haushalt könne man leben, betont die niederländische Zeitung de Volkskrant. Weiter heißt es: "Das ist logisch in Zeiten, in denen Mitgliedstaaten ihre Ausgaben beschneiden müssen. Manche hatten gehofft, Brüssel könne ihnen mit Investitionen zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums helfen. Doch das war politisch nicht durchsetzbar. Zudem ist das EU-Budget im Verhältnis zu den nationalen Volkswirtschaften schlechthin zu klein. Bedauerlich an der Einigung ist, dass die Gelder in den kommenden sieben Jahren größtenteils dieselbe Zweckbestimmung haben wie zuvor. Ausgaben für die Landwirtschaft und die Unterstützung einzelner Regionen - zusammen der Löwenanteil - werden zwar ein wenig gekürzt, aber grundsätzlich aufrecht erhalten. Geld für Forschung und die Förderung vielversprechender Wirtschaftszweige steht deshalb kaum zur Verfügung."

Die Wiener Zeitung Die Presse sieht die EU in einer tiefen Krise: "Dass selbst grundsätzlich sinnvolle Maßnahmen nicht ohne Geschacher angegangen werden können, zeugt allerdings davon, dass die EU in ihrer jetzigen Verfassung kaum reformfähig ist. Und das Budget ist der in Zahlen gegossene Ausdruck dieser Materialermüdung: Am meisten gespart wird dort, wo es nicht wehtut - nämlich bei der Zukunft. Insofern ist diese Budgetdebatte auch ein Zeichen der Zeit: Fast scheint es so, also wäre es der größte Wunsch der Staats- und Regierungschefs, alles möge bleiben, wie es ist, bzw. sich ja nicht allzu sehr verschlechtern. Daran, dass die Zukunft auch besser werden könnte, denkt dieser Tage offenbar niemand mehr."

Der Berliner Tagesspiegel fragt nach den wirtschaftlichen Folgen der Brüsseler Beschlüsse: "Die britische Extremposition, aus der heraus jeder zusätzliche Euro für Europa als Geldverschwendung gebrandmarkt wird, steht auf diese Weise geadelt da. Natürlich klingt es erst einmal logisch, dass auch die EU den Rotstift ansetzen muss, wenn die Mitgliedstaaten sparen. Es bleibt dennoch Unfug, weil das Gemeinschaftsbudget in weiten Teilen ganz anders funktioniert. Mit seinem Prinzip der Kofinanzierung löst es höhere Gesamtinvestitionen aus und kommt damit einem Konjunkturprogramm gleich. Diese Summe ist nun kleiner geworden. Damit ist das Versprechen der Staats- und Regierungschefs vom Sommer, einen Wachstumspakt auf die Beine zu stellen, kaum noch zu erfüllen. Wie soll die Rezession in Europa überwunden werden?"

Die Neue Zürcher Zeitung hält den Haushalt für einen Schritt hin zu einer noch engeren Verzahnung der EU-Staaten: "Die sogenannte europäische Integration via Harmonisierung nationaler Gesetze und Regulierungen in Wirtschafts- und Sozialpolitik führt auch ohne direkte Geldflüsse zu Umverteilung von Vor- und Nachteilen sowie Bevormundung. Die Spannungen durch das Festhalten an der Währungsunion bieten zusätzliche Gelegenheiten, um die Integration durch Euro-Rettung, politisch orientierte Geldpolitik, Fiskalunion, "Banken-Union" und vielleicht "Schulden-Union" voranzutreiben. Vor diesem Hintergrund wirkt es denn auch fast unerheblich, wie weit der Finanzrahmen 2014 bis 2020 nun die Agrarpolitik einengt, die Forschung begünstigt oder eher die Verkehrsinfrastruktur bevorzugt - im Vordergrund steht ohnehin die Umverteilung."

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