Gipfel zur Schuldenkrise Die EU baut um - Großbritannien mauert

Stand: 09.12.2011 16:10 Uhr

Was sich bereits beim vorigen Gipfel andeutete, wird nun immer wahrscheinlicher: Die EU will die Schuldenkrise überwinden, indem sich die Eurozone und weitere Staaten neue Regeln geben, die nicht alle Staaten mittragen - vor allem Großbritannien nicht. Ob die Beschlüsse die Krise beenden, ist fraglich.

Die EU-Staaten wollen mit großer Mehrheit den Umbau der Eurozone hin zu einer gemeinsamen Haushalts- und Wirtschaftspolitik vorantreiben - allerdings um den Preis einer drohenden Abspaltung Großbritanniens von der EU. Auf dem Krisengipfel in Brüssel vereinbarten die 17 Euro-Staaten zusammen mit Nicht-Euro-Ländern der EU einen Vertrag, der verschärfte Spar- und Kontrollauflagen für die Haushalte der Nationalstaaten vorsieht. Die von Deutschland und Frankreich geforderte Änderung des EU-Vertrages aller 27 Mitgliedstaaten scheiterte aber vor allem am Widerstand Großbritanniens.

Dem "Euro-Plus"-Vertrag wollen, neben den Euro-Staaten, nach Beratungen in den nationalen Parlamenten auch alle EU-Staaten ohne Eurowährung bis auf Großbritannien beitreten. Darunter sogar Dänemark - obwohl die Dänen sich, ähnlich wie Großbritannien, schon vor längerer Zeit das Recht zusichern ließen, den Euro nicht einführen zu müssen. Es käme also innerhalb der 27 EU-Staaten zu einem Europa der 26 Staaten - und damit zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten. Diese Entwicklung hatte sich bereits beim vergangenen EU-Gipfel nahezu unbemerkt abgezeichnet.

"26 gegen einen"

Nach Angaben von Gipfelteilnehmern war Großbritannien auf dem Gipfel weitgehend isoliert. "Eigentlich war die Situation 26 gegen einen", beschrieb ein Diplomat mit Blick auf den britischen Widerstand gegen eine EU-Vertragsänderung die Fronten. "Nicht Europa, Großbritannien ist gespalten und steht außerhalb der Entscheidungsprozesse", sagte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite.

Nur Großbritannien und Dänemark haben in der EU ein "Opt Out" vom Euro, sie müssen also die Gemeinschaftswährung nicht einführen. Alle anderen 25 Staaten haben sich dagegen vertraglich zur Einführung verpflichtet. Weil Staaten wie Polen den Euro auch wollen, ist es aus ihrer Sicht sinnvoll, an dem Euro-Pakt mitzuarbeiten - denn das sichert die Mitsprache.

Sarkozy spricht von historischem Gipfel

Insgesamt konnten sich Deutschland und Frankreich mit ihren Forderungen, auf die sie sich Anfang der Woche geeinigt hatten, weitgehend durchsetzen. Sie wollten erreichen, dass von dem EU-Gipfel ein starkes politisches Signal für eine engere Zusammenarbeit der Eurozone ausgeht. "Wir werden eine neue Fiskalunion schaffen für die Eurozone", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy sprach von einem "historischen Gipfel".

Mehrere EU-Regierungschefs kündigten an, dass der Vertrag der Eurozone bis März ausgehandelt sein soll. Vorteil ist nach den Worten von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, dass ein solcher Vertrag schneller in die Tat umzusetzen ist als eine vollständige Vertragsänderung. "Geschwindigkeit ist nötig, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen", sagte er. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso lobte die Stärkung seiner Behörde, die mehr Aufsichtsrechte über die nationalen Haushalte der Euro-Staaten bekommen soll.

Cameron spricht von "harter, aber guter Entscheidung"

Der britische Premierminister David Cameron rechtfertigte sein Nein zu einer EU-Vertragsänderung als "harte, aber gute Entscheidung" Cameron hatte im Gegenzug für eine Zustimmung Sonderrechte für die Regulierung des heimischen Finanzmarkts gefordert, womit er sich aber in Brüssel nicht durchsetzen konnte. Außenminister William Hague wehrte sich gegen Vorwürfe, sein Land sei nun isoliert und außen vor. "Großbritannien ist heute stärker isoliert als je zuvor in seiner 35-jährigen Mitgliedschaft in Europa", sagte dagegen der Labour-Außenpolitik-Experte Douglas Alexander. "Es ist nicht im nationalen Interesse Großbritanniens, dass Entscheidungen getroffen werden, ohne dass wir auch nur mit am Tisch sitzen."

Steinbrück: "Immer zu wenig, zu spät und im Ungefähren"

Der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück warf Bundeskanzlerin Merkel schlechtes Krisenmanagement vor. Die Entscheidungen der Kanzlerin seien "immer zu wenig, zu spät und im Ungefähren", kritisierte er im Deutschlandradio Kultur. Der lange Weg zu neuen Verträgen für eine striktere Haushaltsdisziplin der Euro-Staaten habe die Krise eher eskalieren lassen. So habe Merkel automatische Sanktionen bei Verstößen gegen die Stabilitätskriterien in der Vergangenheit verworfen: "Und nun hat sie sie wieder." Die Frage sei, warum sie sie nicht von vornherein akzeptiert und durchgesetzt habe. Durch Pirouetten wie diese seien eineinhalb Jahre verloren gegangen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte dagegen die Einigung einer großen Mehrheit von EU-Mitgliedsstaaten. "Dass nicht alle EU-Staaten diesen Weg mitgehen, ist nicht erfreulich, darf die anderen aber nicht hindern, die notwendigen Fortschritte zu machen", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.

Ökonomen bleiben skeptisch

An den Finanzmärkten sorgten die Gipfelergebnisse nicht für Begeisterung. Zwar gab es Lob für die langfristigen Beschlüsse. Doch Analysten und Ökonomen fehlen Lösungen zur Bewältigung der akuten Krise. "Ich bin sehr skeptisch, dass es gelingen wird, den Euro auf dieser Basis zu retten", sagte etwa IMK-Chef Gustav Horn. Und Kai Carstensen, Konjunkturchef des Ifo-Instituts, erklärte: "Ich bin nicht gerade positiv überrascht von den Gipfelergebnissen. Was dabei herausgekommen ist, sind Absichtserklärungen."