Finanzminister Olaf Scholz vor einer Pressekonferenz in Berlin

Corona-Hilfen der EU Solidarität unter Vorbehalt

Stand: 10.04.2020 14:10 Uhr

Finanzminister Scholz präsentiert sich als Wegbereiter eines Pakets, das Europas Wirtschaft durch die Krise bringen soll. Doch beim Geld kennt die schier grenzenlose Solidarität und Nähe Europas sehr enge Grenzen.

Wie kräftig die Ideen des Bundesfinanzministers durchgerüttelt worden sein müssen, zeigte sich am späten Donnerstagabend: Als Olaf Scholz in einer Videobotschaft im Internet die Ergebnisse des ebenso virtuellen Finanzministertreffens verkündete, war die Reihenfolge, in der er Europas Krisenhilfe beschrieb, plötzlich eine neue. Stets hatte der im Ernstfall 410 Milliarden Euro schwere Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) auf Platz Eins der ministeriellen Rezepteliste gestanden. Plötzlich nennt Scholz das schärfste Instrument der Eurozone, die notfalls Milliardenkredite für einzelne Mitgliedsstaaten bereitstellen kann, nur noch an dritter Stelle.

Die Reihenfolge einer Aufzählung mag unbedeutend scheinen, doch die Änderung steht symbolisch für einen Aspekt, den die stets betont europafreundliche Bundesregierung gern kaschieren würde: Beim Geld kennt die vermeintlich grenzenlose Solidarität und Nähe Europas sehr enge Grenzen. Selbst in nächtelangen Verhandlungen lassen sich diese nur bedingt überwinden. Diesmal wollten insbesondere die Niederlande die Hilfe mit aller Macht an Bedingungen knüpfen, notfalls um den Preis einer Hängepartie.

"Solidarität ist kein technischer Begriff"

Beobachter loben zwar Scholz' Krisenmanagement, vermissen aber dennoch Signale echter Solidarität. "Solidarität ist kein technischer Begriff, sondern ein politisches Signal. In diesem Paket überlagert die Technik aber wieder einmal die Politik", beschreibt Henrik Enderlein, Präsident der Berliner Hertie School of Governance und Direktor des europapolitischen Think Tanks Jacques Delors Centre: "Meine Sorge ist, dass viele Menschen gerade in Italien und Spanien bei diesem Paket das Gefühl haben, dass Europa nicht großzügig ist, sondern gefeilscht hat."

Henrik Enderlein, Direktor Jacques Delors Centre

Beobachter wie Enderlein vermissen Zeichen echter Solidarität.

Der Bundesfinanzminister rückt die puren Zahlen in den Vordergrund: Auf gut 500 Milliarden Euro summieren sich die Mittel, die mobilisiert wurden. Klammen Staaten der Eurozone, zuvorderst dem besonders gebeutelten Italien, sollen die Kreditzusagen des ESM helfen, sich zunächst an den Finanzmärkten weiter zu finanzieren, also eigene Staatsanleihen bei Investoren zu platzieren. Nur wenn das nicht mehr gelänge, würde Geld des ESM wirklich zum Einsatz kommen. Daneben soll die Europäische Investitionsbank (EIB) ein Kreditprogramm für Unternehmen auflegen, vergleichbar mit den bereits beschlossenen Programmen der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland. Schließlich soll zeitlich beschränkt ein europäisches Kurzarbeitergeld aus der Taufe gehoben werden, das Unternehmen und Mitarbeitern bei drohendem Jobverlust unter die Arme greift.

Nördliche Länder bremsen Wucht des Pakts

Doch die Wucht des Pakets bremsen die Vorbehalte der nördlichen Euroländer, zu denen trotz der Vermittlerrolle auch Deutschland zählt. Niemand solle die Kreditlinien als Freibrief zum Geldausgeben verstehen - diesen Gedanken wollten vor allem die Niederländer verankert sehen. Eine Zweckbindung an die Bewältigung der Corona-Folgen ist nun Teil des Beschlusses. Und dass die heikle Frage einer gemeinsamen europäischen Verschuldung über sogenannte Eurobonds unbedingt umschifft werden musste, galt für viele ohnehin als gesetzt.

Auch wegen Bedenken im Deutschen Bundestag, etwa bei CDU und CSU. "Mit den drei Instrumenten werden zielgenaue Kredite für die Staatshaushalte, die Unternehmen und die Beschäftigten bereit gestellt", hebt Eckhardt Rehberg, Haushaltspolitiker der Unionsfraktion, nun hervor. "Damit sind unsere die Forderungen erfüllt. Corona- oder Eurobonds sind nicht vorgesehen."

Fragen der zukünftigen Finanzarchitektur der EU

Anders urteilt die Opposition. Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP, hält die Aussicht auf Dutzende Milliarden Euro aus dem ESM im Hinblick auf die direkten Corona-Folgen für überdimensioniert, zumal der ESM einst für Gefahren der Finanzstabilität ersonnen worden sei. "Von Nothilfe für Gesundheitssysteme ist im ESM-Vertrag nicht die Rede. Das lässt vermuten, worum es bei dem Paket eigentlich geht: Um das Schaffen eines Präzedenzfalls, so dass es zukünftig ESM-Kredite auch ohne Auflagen geben kann, was die Struktur der EU dauerhaft verändern würde."

Otto Fricke (FDP)

Fricke warnt vor der Schaffung eines Präzedenzfalles (Archivbild)

Solche Kritik macht deutlich, was bei den Corona-Verhandlungen der Finanzminister auch mitschwang: unterschiedliche Vorstellungen über die zukünftige Finanzarchitektur der Europäischen Union. Derzeit wird am neuen, mehrjährigen Finanzrahmen der EU gearbeitet. Angesichts der wirtschaftlichen Delle durch die Corona-Krise kommt einem möglichen Wiederaufbaufonds nach der Pandemie und dessen Finanzierung besondere Bedeutung zu. "Ich fordere die Bundesregierung auf, sich für eine finanzielle Größenordnung einzusetzen, die der tatsächlichen Herausforderung entspricht", erklärt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. "Gemeinsame europäische Anleihen sind der sinnvollste Weg, diesen Fonds zu finanzieren."

Kein Geld ohne Kontrolle

Diesen heiklen Punkt haben die Finanzminister jedoch auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs gespielt, ohne sich bei den Formen der Finanzierung eines solchen Fonds festzulegen. Zwar ist von "innovativen Finanzinstrumenten" die Rede, jedoch ist auch klar, wo insbesondere die Bundeskanzlerin die Grenzen solcher Finanzinstrumente sieht: "Keine Trennung von Haftung und Kontrolle", heißt die Marschroute, die in der Staatsschuldenkrise 2012 formuliert wurde. Also kein Geld für europäische Partner ohne eine Kontrolle durch die Geldgeber. Also keine Eurobonds als gemeinsame europäische Staatsanleihen.

"Ich hätte mir gewünscht, dass in dieser Krise andere Kriterien angelegt werden", bedauert Delors Centre-Chef Enderlein. "Deutschland hätte es in der Hand gehabt, noch früher und noch klarer europäische Führung zu zeigen und sich nicht erstmal verhandlungstaktisch klein zu machen."

Dass nun allein die Niederlande als Bremser wirken, verzerrt für den Wissenschaftler die Wirklichkeit. "Der Fokus auf das Begriffspaar Haftung und Kontrolle kam ja aus dem Kanzleramt. Europa hätte ein klares politisches Signal aus Deutschland dringend nötig gehabt." Scholz wertet die Ergebnisse der Eurogruppe derweil als "großen Tag europäischer Solidarität und Stärke." Die Suche nach dieser Solidarität, so scheint es aber, wird Europas Staaten auch zukünftig bewegen.

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