Ein Mitarbeiter prüft ein Rohr, das Teil der Pipeline Nord Stream 2 werden soll.
Analyse

Streit um Nord Stream 2 Abhängig von Russlands Gas?

Stand: 08.02.2019 17:58 Uhr

Kritiker der Pipeline Nord Stream 2 sagen eine Abhängigkeit von Moskau voraus. Die Befürworter loben die Verlässlichkeit der Russen. Wie wichtig ist russisches Gas für Deutschland?

Ein Szenario: Zwischen der Europäischen Union und Russland kommt es zu einer schweren politischen Krise. In ihrem Verlauf drosseln die russischen Gasunternehmen ihre Lieferungen in den Westen. In Deutschland droht der Energienotstand, das Land ist schlagartig erpressbar.

Was wie Science Fiction klingt, ist das Kernargument der Gegner der Pipeline Nord Stream 2 - Deutschland mache sich immer mehr abhängig von russischem Gas. Der Streit geht damit um einen Energieträger, dessen Verbrauch nach einer kurzen Delle zu Beginn des Jahrzehnts wieder deutlich angestiegen ist.

Nur Mineralöl wird häufiger verbraucht

Gas ist - nimmt man die verbrauchte Energie zum Maßstab - der zweitwichtigste Energieträger in Deutschland. 2017 betrug nach einer Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen sein Anteil am gesamten Primärenergieverbrauch 24 Prozent, nur der Anteil von Mineralöl lag mit 35 Prozent höher. Andere Energieträger wie die Erneuerbaren lagen mit 13 Prozent und weniger deutlich dahinter.

Und tatsächlich kommt der größte Teil des deutschen Importgases aus Russland, und er läuft vor allem über die Pipeline Nord Stream. Das auf diesem Wege gelieferte Gas hatte laut Bundesnetzagentur 2017 einen Anteil von 31,9 Prozent am Gesamtimport.

Weitere russische Gasmengen können über die Netze der Nachbarstaaten wie Österreich, Tschechien oder Polen nach Deutschland kommen. Daneben gibt es nur zwei andere Staaten, aus denen Deutschland Gas in einer nennenswerten Größe importiert: Norwegen und die Niederlande.

Monopolist Gazprom

Gas aus Russland bedeutet im Ausland immer: Gazprom. Der Konzern besitzt in Russland ein Exportmonopol, zum erklärten Verdruss seiner heimischen Konkurrenten wie Rosneft.

Für Gazprom ist der deutsche Markt zunehmend wichtig. Zwischen 2013 und 2017 steigerte er nach eigenen Angaben seine Exporte in die Bundesrepublik kräftig von 41 Milliarden auf 67,1 Milliarden Kubikmeter.

Damit ist Deutschland der größte Abnehmer russischen Gases. Zum Vergleich: Großbritannien als zweitgrößter Importeur kaufte 2017 29,1 Milliarden Kubikmeter bei Gazprom.

Aus den Zahlen ergibt sich zugleich die Bedeutung, die der deutsche Markt für Russland hat. Insgesamt exportierte Gazprom 2017 277 Milliarden Kubikmeter Gas - der deutsche Anteil beläuft sich also auf rund ein Viertel. Noch wichtiger ist die gesamte EU: Sie nimmt Gazprom mehr als 40 Prozent ihrer gesamten Gasproduktion ab.

Wird Russland seine Position noch ausbauen?

Wie sich der Import aus Russland in den kommenden Jahren entwickeln wird, lässt sich schwer vorhersagen. Laut Bundesnetzagentur stiegen in Deutschland die Gesamtimporte aus allen Ländern 2017 um zwei Prozent.

Davon profitierten nicht alle Verkäufer in gleichem Maße. Während zum Beispiel die Importe aus Norwegen um neun Prozent zurückgingen, stieg der Import russischen Gases über die Pipeline Nord Stream, die weitgehend parallel zu der jetzt kritisch diskutierten Pipeline North Stream 2 verläuft, um immerhin 16,6 Prozent.

Ein Spezialschiff verlegt die Rohre für die Ostseepipeline Nord Stream 2

Ende des Jahres dürfte Nord Stream 2 fertig sein - hier verlegt ein Spezialschiff auf der Ostsee Rohre.

Schwierige Prognose

Energieexperten weisen aber darauf hin, dass die Entwicklung von Bedarf und Verbrauch von vielen Faktoren abhängig ist - etwa vom Ausbau der Erneuerbaren Energien oder der Steigerung der Energieeffizienz. Insgesamt sank der Primärenergieverbrauch seit 2006 deutlich - und das betraf vor allem die fossilen Energieträger und die Kernenergie.

Auf der anderen Seite will Deutschland bis 2038 aus der Kohleverstromung aussteigen; auch das könnte die Nachfrage nach Gas steigern. Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls sagte das noch im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos voraus. Die Internationale Energieagentur prognostiziert in ihrem Gasmarktbericht 2018 dagegen für die EU insgesamt einen stagnierenden Bedarf in den kommenden Jahren.

Gute Geschäfte schon mit den Sowjets

Doch selbst dann bleibt die Position Gazproms auf dem deutschen Markt einzigartig. Ein Novum ist das nicht. Mitte der 1980er- und 1990er-Jahre betrug der Anteil des russischen Gases an den Importen zeitweilig fast 50 Prozent.

Auch damals gab es immer wieder die Sorge, dass Deutschland sich in eine Abhängigkeit von Moskau begebe. Eingetreten ist dieser Fall bislang nicht. Befürworter und Lobbyisten der Pipeline North Stream 2 betonen deshalb die jahrzehntelange Verlässlichkeit Russlands als Handelspartner. Kritiker der Pipeline verweisen darauf, dass Russland das Gas in der Vergangenheit gegenüber der Ukraine durchaus als Druckmittel eingesetzt hat.

Gäbe es Ersatz?

Wäre russisches Gas im Krisenfall schnell zu ersetzen? Dies dürfte zumindest schwerer sein als bei Mineralöl - bei dem Russland auch der mit Abstand größte Lieferant ist. Hier verteilt sich die Importmenge aber auf insgesamt 24 Staaten, und die in der OPEC zusammengeschlossenen Staaten sind notorisch uneinig.

Doch Interessenten stehen bereit, und im Falle der USA handelt es sich um lautstarke Kritiker der neuen Pipeline. Die USA als weltweit größter Produzent von Flüssiggas wollen ihren Rohstoff auch vermehrt nach Europa verkaufen. Ein Nachteil: Das sogenannte LNG ist deutlich teurer als Gas, dass durch eine Pipeline heranrauscht. Ferner wird es durch die umstrittene Fracking-Technologie gewonnen, die in Europa auf deutliche Vorbehalte stößt. Und es mangelt gerade in Deutschland an Terminals, die die riesigen LNG-Schiffe anlaufen können, um ihre Fracht loszuwerden.

Im Streit über die Pipeline mischen sich die unterschiedlichsten wirtschaftlichen, aber auch geopolitischen Interessen. Auch deshalb wird der Kampf mit North Stream 2 derart mit harten Bandagen geführt, wie man es selbst bei Großprojekten selten erlebt.

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