Eine Hand hält eine Spritze.

Corona-Impfstoffe Gehen ärmere Länder leer aus?

Stand: 23.11.2020 09:29 Uhr

In den USA und Europa könnten bald erste Corona-Impfstoffe zugelassen werden. Viele reiche Länder sichern sich bereits Lieferungen. Bekommen ärmere deshalb zunächst nichts ab?

Derzeit häufen sich die positiven Nachrichten zu möglichen Impfstoffen gegen das Coronavirus. Mehrere Hersteller vermelden vielversprechende Ergebnisse aus ihren Studien. Im Dezember könnten möglicherweise zwei Impfstoffe in Europa und den USA zugelassen werden: der vom Mainzer Unternehmen Biontech und seinem US-Partner Pfizer sowie das Mittel der US-Firma Moderna. Bei beiden läuft die Produktion bereits an.

Doch selbst wenn jetzt alles problemlos weiterläuft, werden die Impfstoffe zumindest in den ersten Monaten bei weitem nicht die Nachfrage decken können. Die Frage ist also: Wer bekommt die Mittel zuerst, und wer geht bei der Jagd nach den Impfstoffen möglicherweise leer aus? Klar ist: Bei beiden Impfstoffen - von Biontech/Pfizer und Moderna - haben sich einige der reichsten Länder der Welt bereits große Mengen gesichert.

Hunderte Millionen Dosen bereits verkauft

Biontech und Pfizer haben nach eigenen Angaben mehr als 570 Millionen Dosen bereits fest verkauft - allein 200 Millionen an die EU und 100 Millionen an die USA. Hinzu kommen 100 Millionen, die die EU, und 500 Millionen, die die USA optional erwerben können.

Liefervereinbarungen der EU (Quelle: EU-Kommission)
Hersteller Menge
AstraZeneca 300 Mio + 100 Mio optional
Sanofi / GSK 300 Mio
Janssen (Johnson & Johnson) 200 Mio + 200 Mio optional
Biontech / Pfizer 200 Mio + 100 Mio optional
Curevac 225 Mio + 180 Mio optional
Moderna (Verhandlungen laufen) 80 Mio + 80 Mio optional
Novavax (Verhandlungen laufen) ?

Außerdem haben etwa ein Dutzend der wohlhabendsten Nationen - darunter Kanada, Großbritannien, die Schweiz, Australien und Japan sowie einige südamerikanische Länder wie Chile, Peru und Costa Rica - mit Biontech/Pfizer Lieferungen vereinbart. Insgesamt sind etwa 1,2 Milliarden Dosen bereits zugesagt - inklusive der vereinbarten Optionen. Gleichzeitig gehen die Unternehmen derzeit davon aus, dass sie bis Ende kommenden Jahres gut 1,3 Milliarden Dosen produzieren können. Der größte Teil ist also bereits verplant.

Ähnlich sieht es bei Moderna aus. Die Firma geht davon aus, mindestens 500 Millionen, möglicherweise bis zu einer Milliarde Dosen pro Jahr herstellen zu können. Zugleich hat Moderna bislang 100 Millionen Dosen den USA fest zugesagt und zudem eine optionale Lieferung über 400 Millionen Dosen vereinbart. Zusammen weitere etwa 100 Millionen Dosen haben sich Kanada, Japan, Katar, Großbritannien, Israel und die Schweiz gesichert. Die EU verhandelt derzeit noch mit Moderna. Hier geht es um bis zu 160 Millionen Dosen. Sollte der Vertrag zustande kommen, wäre der größte Teil der maximalen Jahres-Produktion bereits verbucht.

Liefervereinbarungen der USA (Quelle: US-Gesundheitsministerium)
Hersteller Menge
AstraZeneca 300 Mio
Novavax 100 Mio
Biontech / Pfizer 100 Mio + 500 Mio optional
Sanofi / GSK 100 Mio + 500 Mio optional
Janssen (Johnson & Johnson) 100 Mio + 300 Mio optional
Moderna 100 Mio + 400 Mio optional

Steinmeier ruft zum Teilen auf

Für den größten Teil der Welt bleibt also zumindest am Anfang offensichtlich wenig übrig. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wies Ende Oktober darauf hin, dass fast die Hälfte der Weltbevölkerung in Staaten lebe, "die nicht über die Mittel verfügen, sich den Herstellern als Vorzugskunden anzudienen". Die Folge werde sein, "dass in ärmeren, aber nicht weniger bedürftigen Ländern nur ein geringer Teil der Bevölkerung geimpft werden kann, in reicheren Ländern hingegen ein ungleich größerer Teil", so Steinmeier. Er rief diese Woche in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel, Deutschland und die EU dazu auf, Teile der Kontingente, die sie sich gesichert haben, abzugeben. Außerdem sollten sich alle Länder ihren Möglichkeiten entsprechend an der weltweiten Initiative Covax beteiligen.

Covax wurde im April von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Globalen Impf-Allianz (GAVI) und der Coalition for Epidemic Preparednes (CEPI) gegründet. Ihr Ziel ist, auch ärmere Länder mit Impfstoffen zu versorgen. Fast alle Länder der Welt haben mittlerweile erklärt, die Initiative zu unterstützen, allerdings die USA und Russland bislang nicht.

Viele Mittel in der Entwicklung

Dennoch zeigen sich einige Experten durchaus optimistisch, dass es gelingen kann, mittelfristig ausreichend Impfstoffe für alle Menschen weltweit herzustellen. Der Grund dafür ist, dass so viele verschiedene Impfstoffe entwickelt werden. Knapp 50 Mittel werden derzeit in klinischen Studien getestet, etwa ein Dutzend sind bereits in der abschließenden Phase 3 angekommen.

Jakob Cramer beobachtet die Fortschritte genau. Der Mediziner leitet den Bereich Klinische Entwicklung bei der Organisation CEPI. Und er zeigt sich zuversichtlich - vor allem wegen der bislang bekannten Ergebnisse aus den großen Studien von Biontech/Pfizer und Moderna. Demnach verhindern die Impfstoffe offenbar mehr als 90 Prozent der Erkrankungen. Das sei "sehr gut", sagt Cramer, sogar "sehr viel besser, als wohl jeder Experte erwartet hätte".

Und ähnlich gut könnten auch viele andere Impfstoffe wirken, die derzeit entwickelt werden, sagt Cramer. Denn alle basieren auf dem sogenannten Spike-Protein. Dabei handelt es sich um eine Art Stiel, mit dem das Virus SARS-CoV-2 in menschliche Zellen eindringt. Die Impfstoffe enthalten mindestens Teile dieses Eiweißes oder eine Art Bauplan davon. Und anscheinend reagiert das Immunsystem sehr gut darauf.

Weitere große Hersteller aktiv

Alle Fachleute seien jetzt sehr gespannt auf weitere Ergebnisse aus großen Studien von anderen Herstellern, sagt Cramer. Auch für das Mittel der Universität Oxford, das sie zusammen mit dem britischen Pharmakonzern AstraZeneca entwickelt, liegen inzwischen erste Daten vor.

AstraZeneca kooperiert mit einer Reihe von Herstellern weltweit, um große Mengen zur Verfügung stellen zu können. Allein das Serum Institute of India soll bis Ende 2021 etwa eine Milliarde Dosen herstellen. Insgesamt hat der Konzern bereits Produktions- und Liefervereinbarungen über mehr als drei Milliarden Dosen getroffen - auch mit vielen ärmeren Ländern. Die Covax-Initiative soll 300 Millionen Dosen bekommen.

Auch weitere Pharmariesen wie Johnson & Johnson oder GSK und Sanofi, die gemeinsam einen Impfstoff entwickeln, streben eine Zulassung noch im ersten Halbjahr 2021 an. Auch sie haben zugesagt, Covax Hunderte Millionen Dosen zu liefern. Grundsätzlich wollen auch Pfizer/Biontech und Moderna die Initiative unterstützen. Konkrete Mengen haben sie aber noch nicht zugesagt.

Hinzu kommen noch mehrere chinesische und russische Hersteller sowie etwa die Firmen Novavax in den USA oder Curevac in Deutschland. Auch sie werden voraussichtlich Hunderte Millionen Dosen herstellen können, natürlich vorausgesetzt, ihr Impfstoff wird zugelassen. Allein Novavax will nach eigenen Angaben mithilfe von Kooperationen und Zukäufen von Firmen in der Lage sein, etwa zwei Milliarden Dosen zu produzieren. Insofern könnte es im Lauf des kommenden Jahres tatsächlich große Mengen an Impfstoffen geben.

Es fehlt noch an Geld

Zurzeit können die Hersteller Angebote für die Covax-Initiative abgeben. Eine entsprechende Ausschreibung ist gestartet. Das Ziel ist, zwei Milliarden Dosen verteilen zu können. Doch um das zu schaffen, reicht nicht allein das Angebot an möglichen Impfstoffen. Covax benötigt auch das entsprechende Geld. Bislang haben eine Reihe von Ländern sowie einige private Firmen und Stiftungen knapp fünf Milliarden Dollar zugesagt. Doch das reicht noch lange nicht. Nötig sind nach Angaben der WHO mindestens elf Milliarden Dollar, um die angestrebten zwei Milliarden Dosen kaufen und verteilen zu können.

Am Sonntag erklärte die Gruppe der großen Wirtschaftsmächte (G20), sie wolle "keine Mühe scheuen", einen gerechten Zugang zu erschwinglichen Corona-Impfstoffen in der Welt sicherzustellen. Insbesondere die Covax-Initiative solle unterstützt werden. "Wir sind entschlossen, die verbleibenden finanziellen Anforderungen anzupacken", heißt es in der Abschlusserklärung der G20-Staaten.

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