Interview

Bezahlmodelle im Internet "Langfristig gibt es keine Alternative"

Stand: 28.05.2013 18:10 Uhr

"Bild.de" bittet User künftig zur Kasse. Langfristig gebe es für die Branche dazu keine Alternative, sagt Medienökonom Armin Rott. Doch jeder Verlag müsse seine eigene Lösung dafür finden: "Online-Bezahlmodelle müssen sich den Bedürfnissen der Zielgruppe anpassen."

tagesschau.de: Lange Zeit galt für den Online-Journalismus eine Gratis-Kultur. Wird sich das mit der "bild.de"-Paywall jetzt endgültig ändern?

Armin Rott: Ganz kostenlos sind viele Online-Inhalte ja schon jetzt nicht. Aber ich glaube nicht, dass künftig alle Angebote kostenpflichtig werden. Vielmehr könnte es sein, dass diese Paywall das Ende der einfachen Bezahlmodelle nach dem Motto "kostenpflichtig oder nicht" einläutet. Die User sind bereit, für bestimmte journalistische Inhalte zu zahlen.

Zum Beispiel dann, wenn sie exklusiv sind: Wenn also Kai Diekmann seinen Usern die Anrufbeantworternachricht des Bundespräsidenten vorspielt. Oder wenn menschliche Bedürfnisse wie Voyeurismus oder nackte Haut bedient werden oder ein sehr hoher Nutzwert geliefert wird. Für Meldungen und Nachrichten, die ohnehin überall verfügbar sind, wird dagegen niemand direkt bezahlen. Modelle, die diese individuellen Zahlungsbereitschaften berücksichtigen, haben also Zukunft. Die einfachen Geschäftsmodelle, wie sie bisher von den Massenmedien genutzt wurden, eher nicht.

Zur Person
Armin Rott ist Professor für Medienökonomie an der Universität Hamburg und leitet das Fachgebiet Medienmanagement an der Hamburg Media School. Er forscht unter anderem zu Wettbewerbspolitik und Fernseh-, Print- und Onlinemedien.

tagesschau.de: Das Bezahlmodell, das Bild-Online ab 11. Juni einführen wird, sieht ja genau das vor: nämlich nicht alle, sondern nur exklusive Inhalte kostenpflichtig zu machen. Wird Springer damit erfolgreich sein?

Rott: Kurzfristig besteht hier für Springer ein erhebliches Risiko: Die Mindererlöse auf dem Werbemarkt können zu Anfang die Mehrerlöse auf den Nutzermärkten nicht voll kompensieren. Mittelfristig schon eher und langfristig gibt es wahrscheinlich gar keine Alternative. Die offene Frage lautet: Was heißt exklusiv? Also: Wofür sind die Konsumenten bereit, zu zahlen? Und man ahnt, dass das nicht unbedingt nur journalistische Exklusivität ist. Vielmehr wird es sich zusammensetzen aus der Art der Darbietung, dem Inhalt, den Akteuren, aber auch der Art und Weise, wie und wo diese Inhalte abrufbar sind.

"Dynamische Bezahlmodelle könnten sich durchsetzen"

tagesschau.de: Welche anderen Bezahlmodelle könnten sich auf dem Markt durchsetzen?

Rott: Ich denke, dass nur die Mischformen sich durchsetzen werden. Also reine Pay-Modelle, wie E-Paper-Abos, sind genauso wenig das Mittel der Wahl wie rein werbefinanzierte Angebote. Viel diskutiert sind die sogenannten Metered Paywalls, die wie eine Art Parkuhr funktionieren. Beispielsweise sind die ersten zehn Artikel umsonst, ab dann kostet es. Hier sind allerdings die Abrechnungsverfahren noch recht kompliziert.

Für vielversprechend halte ich die modernen Modelle, bei denen man automatisiert oder durch Redaktionsarbeit herausfindet, welche Artikel besonders gut laufen. Wenn ein Artikel sich explosionsartig verbreitet, kann man dann dynamisch den Preis erhöhen. Modelle, bei denen festgelegte Preise berechnet werden oder alle Artikel gleichviel kosten, sind bislang nahezu alle gescheitert.

tagesschau.de: Inwieweit wird dieser Schritt von Springer die gesamte Online-Branche verändern?

Rott: Man kann das, was für die Leser einer großen Boulevard-Zeitung richtig ist, nicht automatisch auf die anderen Verlage übertragen. Bei regionalen Tageszeitungen sind Angebot und Bedürfnisse schon wieder ganz anders. Für sehr stark nutzwertorientierte Angebote eignen sich direkte Bezahlmodelle beispielsweise gut. Allerdings sind die sehr selten. Das erfolgreichste Beispiel ist Stiftung Warentest. Hier vertraut der Nutzer einer Marke und hat sofort etwas von dem Inhalt, für den er bezahlt. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Journalismus in diese Richtung verändern wird, sich also künftig stärker am Nutzwert orientiert.

"Es wird Nachahmer geben"

tagesschau.de: Sie glauben also nicht, dass die anderen Verlage jetzt reihenweise nachziehen?

Rott: Sicher wird es Nachahmer geben, aber bestimmt nicht flächendeckend. Die Verlage werden sich das jetzt wohl eine Weile anschauen und dann wird der ein oder andere nachziehen. Das ist jetzt einfacher, nachdem einer vorgeprescht ist. Auf den Verlagschefs lastet dann nicht mehr die große Angst, sich zu blamieren. Im Zweifel kann man sagen: Die anderen waren auch nicht schlauer.

Aber weil die Bedürfnisse der einzelnen Zielgruppen so unterschiedlich sind, gibt es nicht den einen Königsweg. Der einzig richtige Weg kann sein: Die eigenen User genau zu kennen und zu verstehen und das, was sie suchen und wollen, in Angebote zu übersetzen. In der Vergangenheit hat man versucht, große Gruppen in durchschnittlicher Art und Weise anzusprechen. Die modernen Technologien erlauben es jetzt aber, das viel individueller zu machen.

tagesschau de: Wird das die bereits tot geglaubte Zeitungsbranche retten?

Rott: Man darf diesen Schritt jetzt nicht überbewerten. Die Ursachen des Einbruchs im Printgeschäft werden dadurch nicht aufgehoben. Die Zielgruppe bricht aus demografischen Gründen in der Zukunft noch stärker weg. Die Menschen lesen nicht mehr so gerne und so viel, sondern schauen sich lieber ein Video an. Die Aufmerksamkeit verteilt sich auf viele kleinere Angebote. Mit kostenpflichtigem Online-Journalismus hält man all das nicht auf.

"Es muss auch nicht jeder die Druckmaschine neu erfinden"

tagesschau.de: Zeitungsverleger beklagen, dass sie gern Bezahlmodelle einführen würden, die Entwicklung dieser Systeme für sie aber zu teuer seien. Ist das die eigentliche Hürde bei der Einführung von Paywalls?

Rott: Das glaube ich nicht. Zwar ist es teuer, diese individuellen Abrechnungsmodelle einzuführen. Aber wenn das ein kleiner oder einzelner Verlag nicht schafft, dann muss es eben Branchenlösungen geben. Es muss ja auch nicht jeder Verlag die Druckmaschine neu erfinden. Es gibt spezialisierte Anbieter, die in diese Lücke investieren würden, wenn es dafür einen nennenswerten Markt gäbe.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de

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