Guillaume Faury
interview

Airbus-Chef Faury "Krise ohne Beispiel"

Stand: 01.07.2020 20:37 Uhr

15.000 Stellen sollen bei Airbus wegfallen - Tausende davon in Deutschland. Im ARD-Interview spricht Konzern-Chef Faury über betroffene Standorte, die Rolle der Bundesregierung und darüber, wo er nun investieren will.

ARD: Sie haben die umfangreichsten Stellenkürzungen in der Geschichte von Airbus angekündigt. Was hat Sie dazu veranlasst?

Guillaume Faury: In der Corona-Krise sind 90 Prozent des internationalen und 70 bis 90 Prozent des regionalen Flugverkehrs ausgefallen. Von den 21.000 Flugzeugen weltweit sind zwei Drittel nicht geflogen, die anderen nur wenig. Die Fluggesellschaften sind dadurch in großen Schwierigkeiten und brauchen weniger Maschinen.

Wir schätzen, dass unsere Umsätze und Auslieferungen 2020/21 im Vergleich zu den Prognosen um 40 Prozent sinken. In einem Unternehmen mit 90.000 Mitarbeitern fehlen also Aufträge, die etwa 35.000 Beschäftigungen entsprechen. Wir haben monatelang gearbeitet, um das abzufedern. Aber diese Krise ist ohne Beispiel, die kommerzielle Luftfahrt hat so etwas in ihrer Geschichte noch nicht erlebt. Wir können die Auswirkungen heute auf 15.000 Stellenstreichungen begrenzen und arbeiten weiter daran, auch mit den Regierungen, diesen Schock abzufedern. Was angesichts des Ausmaßes der Krise sehr schwierig ist.

Airbus-Chef Faury mit Flugzeug-Modell
Zur Person
Guillaume Faury steht seit 2019 an der Spitze von Airbus. Der 52-jährige Franzose folgte auf den Deutschen Tom Enders. Der Ingenieur ist mit einer kurzen Unterbrechung seit 1998 beim Luftfahrt-Konzern beschäftigt.

ARD: Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat Ihren Plan "exzessiv" genannt. Was sagen Sie dazu?

Faury: Die Regierungen sähen es natürlich gerne, wenn wir die Auswirkungen der Krise komplett auffangen könnten. Ich glaube nicht, dass wir das schaffen können. Und ich weiß, dass Bruno Le Maire an Maßnahmen arbeitet, die Zahl der Stellenstreichungen, die wir angekündigt haben, zu senken. Wir arbeiten weiter Hand in Hand - mit Kurzarbeit und der Finanzierung für die Erforschung neuer Technologien. Aber selbst mit diesen Maßnahmen werden wir den Schock leider nicht ganz abfangen.

ARD: Frankreich hat eine langfristige Kurzarbeit bis 2022 eingeführt und will so 2000 der 5000 angekündigten Stellenstreichungen bei Airbus vermeiden. Macht die deutsche Regierung aus Ihrer Sicht genug in dieser Richtung?

Faury: Aus meiner Sicht sind Deutschland und Frankreich sehr ähnlich vorgegangen und haben sich stark abgesprochen. Sie haben vielleicht unterschiedlich kommuniziert, aber wir glauben, dass auch in Deutschland die Kurzarbeit ausgedehnt werden wird. Deutschland hat große Investitionen in Wasserstofftechnik angekündigt, was uns für das Flugzeug der Zukunft sehr interessiert. Dazu weitere Programme für Luftfahrttechnik. Die Maßnahmen sind also verschieden, aber vergleichbar, und helfen uns jeweils sehr. Wir fühlen uns von beiden Regierungen stark unterstützt, und die Zusammenarbeit gerade in Deutschland funktioniert gut.

Alle Produktionsstätten von Stellenabbau betroffen

ARD: In Deutschland sollen 5100 Stellen allein bei der Passagier-Sparte gestrichen werden. Lässt sich schon sagen, welche Standorte wie betroffen sein werden?

Faury: Nein, das werden wir diese Woche zunächst mit den Sozialpartnern vor Ort besprechen. Aber alle Produktionsstätten werden im Verhältnis in etwa gleich betroffen sein, abhängig von der Art ihrer Produktion.

ARD: Können Sie angesichts der Menge der Stellenstreichungen betriebsbedingte Kündigungen vermeiden?

Faury: Wir arbeiten seit Monaten daran und tun das auch weiterhin. Die Kurzarbeit ist eine Art, die Mitarbeiter mit Hilfe der Staaten im Unternehmen zu halten. So müssen wir sie nicht entlassen, sondern können etwa Teams zirkulieren lassen. Viele Mitarbeiter werden also weniger arbeiten, aber alle werden im Betrieb bleiben und - so der Plan - in Vollzeit zurückkehren, wenn die Arbeit wieder anzieht. Die Langzeit-Kurzarbeit könnte uns helfen, 1500 Stellen (Anm. d. Red.: in Deutschland) zu sichern. Durch die Investitionen etwa 400 bis 500. Trotzdem bleiben Stellen über. Wir werden also mit den Sozialpartnern versuchen, Lösungen zu finden, wie es uns eigentlich immer gelungen ist.

"Wir lassen die Zulieferer nicht fallen"

ARD: Gerade in Deutschland hängen viele mittelständische Zulieferer mit zahlreichen Angestellten stark von Airbus ab. Wie kann man dort den Stellenabbau vermeiden und auch die Produktion bei Airbus im Fall von Pleiten sichern?

Faury: Ein Flugzeug hat etwa 500.000 Teile von 3200 Produzenten. Wenn einer davon nicht mehr produzieren kann, fehlt ein Teil vom Flugzeug. Man kann aber kein fast fertiges Flugzeug liefern. Wenn also ein, zwei oder drei Produzenten ausfallen, stehen alle anderen auch still. Deshalb gibt es in unserer Branche eine große Solidarität. Jeder hängt vom anderen ab. Deshalb sind wir besorgt und haben vorgesorgt. Mit einer Task-Force, die die Zulieferer beobachtet und einschreiten kann, bevor es zu Pleiten kommt - durch Reorganisation, Anpassung oder Übernahmen. Wir lassen die Zulieferer nicht fallen. Das können wir uns nicht erlauben.

ARD: Trotz der Krise muss die Luftfahrtbranche angesichts von Klima-Herausforderungen in neue Technologien investieren. Wie kann das funktionieren?

Faury: Die Passagier-Luftfahrt war in einer Phase hoher Investitionen für CO2-neutrale und vernetzte Flugzeuge der Zukunft. Wir erleben unglaubliche technische Umwälzungen, die durch den Druck des Umweltschutzes notwendig sind. Leider raubt uns die Corona-Krise nun einen großen Teil der Mittel, die wir für diesen Fahrplan brauchen.

Die Staaten, Deutschland und Frankreich im Besonderen, sind dabei, ihre Investitionen in diesem Bereich aufzustocken, um in der Entwicklung weiterzumachen oder sie sogar zu verstärken. Dank der Staaten werden wir so nicht nur kurzfristig Jobs sichern können, sondern auch die technologische Führungsrolle behalten und weiterhin in die Zukunft investieren. Wenn wir das in der Krise beibehalten, retten wir Hunderttausende Stellen in der Zukunft. Das hat einen große Bedeutung. Die Regierungen haben das verstanden und wir sind ihnen dafür sehr dankbar.

"Werden viele Jahre brauchen, um zurückzukommen"

ARD: Sehen sie am Horizont eine Rückkehr zur Normalität oder sogar neues Wachstum?

Faury: Wir sind da sehr vorsichtig. Es gibt viele Unsicherheiten. Niemand hat eine Kristallkugel, sonst hätten wir ja das Coronavirus vorhergesehen. Wir haben eine Vorstellung davon, wie wir zur Normalität und zum Wachstum zurückkommen, aber es existieren viele Risiken. Wir hoffen, dass nach dem Sommer 2020 ein Großteil der Regionalflüge wieder aufgenommen wird. Und wir hoffen, dass im Sommer 2021 auch ein Großteil des internationalen Flugvorkehrs wieder aufgenommen werden wird. Aber so wie 2019 wird der Flugverkehr erst 2022 oder 2023 wieder sein. Was den Verkauf von Flugzeugen angeht, wird der erst zwischen 2023 und 2025 das Vorkrisenniveau erreichen.

Viele Bürger sehen die Krise als Welle an, die vorübergeht. Für die Luftfahrt ist diese Krise aber strukturell und hat enorme Auswirkungen, die Leute schocken würde, die den Bereich nicht so gut kennen. Wir werden leider viele Jahre brauchen, um auf das Vorkrisenniveau zurückzukommen.

Das Interview führte Marcel Wagner, ARD-Studio Paris

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