Der Eingang des Werks von Audi Brüssel.

Volkswagen-Konzern Audi-Werk in Brüssel bangt schon lange

Stand: 04.09.2024 13:27 Uhr

Die Nachrichten von VW über drastische Sparpläne in Deutschland erregen gerade die Belegschaft. Im Audi-Werk in Brüssel spürt man die Krise schon länger - vor allem wegen der sinkenden Nachfrage aus China.

"Vorsprung durch Technik" - über dem Haupteingang prangt der Audi-Werbeslogan. Damit könnte es bald vorbei sein. Obwohl heute die Produktion schrittweise zunächst im Karrosseriebau des Brüsseler Audi-Werks wieder anlaufen sollte. Sogar in zwei Schichten bis zum Jahresende.

Die etwa 3.000 Audi-Beschäftigten glauben nicht so recht daran und sind gar nicht erst an ihren Arbeitsplätzen erschienen. Gestern erfuhren sie vom Management, dass der Mutterkonzern Volkswagen im Brüsseler Audi-Werk kein neues Modell mehr fertigen will, wenn die Produktion des "Q8-etron" ausläuft.

Jetzt soll nach neuen Investoren und einer alternativen Produktion gesucht werden. "Aber zu viele Fragen nach der Zukunft der Audi-Beschäftigten und unserer Subunternehmer bleiben offen", erklärte Franky De Schrijver vom Belgischen Allgemeinen Gewerkschaftsbund: "Es gibt keine neuen Projekte und damit auch keine Perspektive mehr für Audi in Brüssel."

"Ich gebe zu - das tut weh"

Die Brüsseler Tageszeitung Le Soir widmet der Audi-Krise zwei Seiten und schreibt ausführlich über "das Ende der Geschichte zwischen Audi und seinem Brüsseler Werk, nachdem der deutsche Hersteller nach Monaten des Zögerns bestätigte, dass dort bald keine Autos mehr gebaut werden - in Deutschland ist das Auto machtlos angesichts der chinesischen Offensive".

So sehen es viele Mitglieder der Belegschaft, die sich vor den Werkstoren im Brüsseler Stadtteil Forest versammelten. "Sie sagen, dass sie uns auf dem Laufenden halten, wir werden sehen. Ich bin 17 Jahre dabei und jetzt 55 Jahre alt, das ist ein schwerer Schlag. Ich gebe zu - das tut weh", sagt einer der Beschäftigten.

Die Stimmung ist schlecht. Wochenlang lag die Produktion still. Zum einen wegen der Sommerferien. Zum anderen, weil die Nachfrage eingebrochen ist. Der SUV "Q8-etron" - in der Vollausstattung kostet er rund 70.000 Euro - war der Renner vor allem auf dem chinesischen Markt. Nun ist die Nachfrage aus China eingebrochen. Pech für das Brüsseler Werk. Der "Q8-etron" ist zusammen mit einer "Sportback"-Variante das einzige Modell, das vom Band läuft - inzwischen seit 2018. Das bedeutet: Es gibt kein anderes Modell, das besser läuft und stattdessen montiert werden könnte.

Das Aus für die Oberklasse?

Der Nachfolger des "Q8-etron" wiederum könnte in Mexiko gebaut werden, glauben Gewerkschaftler, wenn es überhaupt noch einen Nachfolger im Oberklasse-Segment geben sollte. Audi könnte dieses Segment am Ende den Chinesen überlassen oder eine Kooperation mit einem chinesischen Autobauer anstreben mit einer außereuropäischen Produktion. Und sich dafür im E-Bereich auf die Mittelklasse konzentrieren, die aber nicht mehr in Brüssel produziert wird.

Schon im Juli wurden die Audi-Beschäftigten über bevorstehende Umstrukturierungen informiert. Gründe sind etwa zu hohe Produktionskosten und zu wenig Platz für Erweiterungen am Fabrikstandort in Brüssel zwischen Wohnsiedlungen, Bahngleisen und einer Autobahn. Entscheidend sind aber wohl Überkapazitäten und der schwächelnde China-Markt. Die Geschäftsführung werde transparent und ehrlich informieren und mit den Sozialpartnern über Lösungen sprechen, kündigte Audi-Brüssel-Sprecher Peter de Hoore an.

Inzwischen kündigt sich an der Spitze eine Personal-Rochade an: Thomas Bogus, aktuell Projektleiter für vollelektrische Audi-Modelle, wird Mitte September neuer Geschäftsführer von Audi Brussels. Und damit Nachfolger von Volker Germann, der neue Aufgaben im Konzern übernimmt. Das sollte der Belegschaft wohl auch Hoffnung machen, dass es weiter geht und dass man sich um ihre Zukunft kümmern werde.

Alternativen zur Schließung müssen geprüft werden

In Belgien müssen vor einer Schließung zusammen mit den Sozialpartnern die Alternativen genau geprüft und abgewogen werden, um die Arbeitsplätze zu retten. Lange Zeit war Brüssel stolz auf das Werk und seine E-Oberklasse, die sich nun schwer tut auf dem alten Kernmarkt China. Stolz auch auf die CO2-neutrale Produktion auf 55 Hektar - einzigartig in der Welt. Eine Perle im VW-Konzern. Inmitten der EU-Hauptstadt auch ein Vorzeigeprojekt für die Leistungsfähigkeit und Anpassungsbereitschaft der europäischen Autoindustrie in einem schwierigen Marktumfeld.

Wirtschaftsminister Pierre-Ives Dermagne erklärte, die belgische Regierung werde genau beobachten, wie sich die Lage bei Audi entwickele: "Wir möchten natürlich, dass alle Alternativen ernsthaft geprüft werden, um sicherzustellen, dass die Auswirkungen für die Beschäftigten als auch für die Zulieferer so gering wie möglich gehalten werden."

Brüssel hat eine große Tradition im Fahrzeugbau - und ist seit 1948 auch eng mit Deutschland und dem inzwischen gebeutelten VW-Mutterkonzern verknüpft. Seit mehr als 70 Jahren werden in Brüssel Autos gebaut: Anfangs in Lizenzproduktion der berühmte VW-Käfer, ab 2007 der Audi A1 und ab 2018 das Flagschiff "Q8-etron".

Die belgischen Gewerkschaften glauben, dass Audi die E-Oberklasse ganz aufgeben könnte, um sich im mittleren Segment neu aufzustellen - nicht mehr in Brüssel, wo noch etwa 3.000 Beschäftigte sich in vier Sprachen bei der Arbeit verständigen: Deutsch, Französisch, Niederländisch und Englisch. Im VW-Konzern könnte das Brüsseler Audi-Werk das erste sein, dass ganz dicht macht, wenn der letzte "Q8-etron" ganz geräuschlos vom Band läuft und keine alternative Nutzung gefunden wird - was angesichts der hohen Spezialisierung als schwierig gilt.

CDU-Abgeordneter Schenk fordert Eingreifen der EU

Es wäre eine weitere alarmierende Meldung aus der Autoindustrie, die vielen als wirtschaftliches Rückgrat gilt. "Das nimmt kein gutes Ende", warnte der CDU-Europaabgeordnete Oliver Schenk und forderte eine gemeinsame Kraftanstrengung der europäischen Regionen, der EU-Regierungen und der EU selbst, um einer Deindustrialisierung vorzubeugen, zumal die gesamte industrielle Basis mit dem Automobilbereich verbunden sei. "Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit unserer gesamten Wirtschaft", erklärte der EU-Abgeordnete.

Während sich Audi auf das Ende der Produktion im Brüsseler Werk vorbereitet, geht es in den Brüsseler Institutionen heute auch um das Thema Wettbewerbsfähigkeit der EU. Italiens ehemaliger Ministerpräsident Mario Draghi präsentierte seinen lange erwarteten Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China, den USA und anderen Weltregionen - und wie man sie erhalten kann.

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